Zählen, Zählen, Zählen

Vorläufig amtliche Endergebnisse und verbindliche Resultate müssen bei Abstimmungen nicht übereinstimmen. Die Abweichungen sind in der Regel nur minim, die automatischen Kontrollen aber auch unvollständig, wie eine Uebersicht im “Bund” zeigt.

Orlando, der Karikaturist des Berner “Bund”, kam beim Thema “Zählfehler” bei Volksabstimmungen mächtig in Fahrt. Den Berner Stadtpräsident Tschäppät sieht er die Endresultate handyphonieren, die sein Wahlbüro ermittelt hat. Doch da wird gewogen, versteckt, fotokopiert und gebündelt, was das Zeug hält. Was Sache sei, versucht nur ein treuer Beamter mit einer Differenzberechnungen zu eruieren.

topelement

Hintergrund des fantasiereichen Bildes ist die Nachzählung von Abstimmungsergebnissen, wie sie bei der Autosteuer-Entscheidung vom 13. Februar 2011 im Kanton Bern verlangt wurde. Beantragt wurde sie, weil bei der Stichfrage die Differenz zwischen Volksvorschlag und Grossratsvorlage ausgesprochen gering war.

Nun hat der Bund verdienstvollerweise eine Uebersicht erstellt, wie gross die Unterschiede zwischen der provisorischen und definitiven Auszählung sind. Eine Publikation zu solchen Vergleichen ist mir bis jetzt nicht bekannt gewesen.

Fazit: Im Einzelfall differieren die Ja- oder Nein-Stimmenanteile bis zu einem Prozentpunkt. Solche Abweichungen sind aber selten. Im Mittel ist mit 2 Promillen Unterschied zu rechnen.

Anders gesagt: Bei Ergebnissen von 50,2 zu 49,8 ist am sich Vorsicht angebracht. Das finale Ergebnis kann sehr wohl umgekehrt zum vorläufig amtlichen sein. Gering ist diese Wahrscheinlichkeit, wenn ein Resultat 49:51 lautet.

Damit bestätigt die Uebersicht, was man hinter vorgehaltener Hand auf Bundesebene sagt: Bis 1 Prozent Fehler ist theoretisch möglich, einige Promille kommen immer wieder vor.

Der Begriff “Zählfehler” muss aber differenziert werden, und zwar in Erfassungs- und Uebertragungsfehler. Die Bestimmung des definitiven Ergebnisses kontrolliert nur Uebertragungsfehler. Der häufigste dabei ist, dass die Ja- und Nein-Stimmen vertauscht werden. Das geschieht in der Kette der Resultateübertragung von A nach Z. Die verbindliche Resultateermittlung, wie sie der Kanton jetzt vorlegt, kontrolliert nur dieses Problem. Nicht überprüft werden Erfassungsfehler, also Ungenauigkeiten bei Zählen selber. Dem wird nur nach gegangen, wenn eine Beschwerde vorliegt und ihr stattgegeben wird. Dann beginnt das Auszählen in den Gemeinden von Neuem. Das ist recht selten, kam aber zum Beispiel 2002 bei der Asylinitiative der SVP vor. Bei solchen Kontrollen kommen meist mehr Fehler an die Oberfläche, ohne dass sie zwingend eine Konsequenz haben müssen.

Der Grund dafür ist recht einfach: Das Zählsystem bei Schweizer Volksabstimmung ist imperfekt, weshalb Ungenauigkeit auf mehreren Stufen nicht ausgeschlossen werden können. Doch entstehen sie nicht aufgrund eines übergeordneten Willens, sondern aus beschränkter Nachlässigkeit. Damit ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass sich die zufälligen Effekte neutralisieren, das heisst in beide Richtung vorkommen, und nur die Bilanz daraus erheblich ist.

Eine Anwort auf die Beschwerde der Jungen Grünen zur Stichfrage bei der Autosteuer ist das alles nicht. Denn erst wenn diese gut geheissen wird, beginnt die Nachzählung des “definitiven” Ergebnisses. Und nur so werden die Zählfehler in den Gemeinden aufgedeckt. Dabei kann gut sein, dass sich da einiges von Orlandos Fantasie bewahrheitet, doch eines übersieht er: die Fehler gehen in beide Richtungen, und schränken damit die Auswirkungen ein.

Claude Longchamp