Wahrscheinliche Trends in der Meinungsbildung bei Volksinitiativen

Seit 1998 führt das Forschungsinstitut gfs.bern für die SRG Abstimmungsumfragen durch. 2002 wurde das Vorgehen standardisiert, um die Ergebnisse zu den Meinungsverläufen im Vorlagenvergleich beurteilen zu können. Die Befragung zum “Schutz vor Waffengewalt” ist die 15., die nach diesem Muster untersucht worden ist. Das wahrscheinlichste, wenn auch nicht einzige Szenario ist der Aufbau der Ablehnung bei gleichzeitigem Rückgang der Zustimmung.

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Die Anwendung dieser Erkenntnis auf die Meinungsbildung zur Waffen-Initiative

Die Politikwissenschaft weiss über die Funktionen von Volksinitiative einiges. Ueber die Prozesse der Meinungsbildung bestehen dagegen Lücken. Die Untersuchungsreihe unseres Instituts für die SRG SSR Medien bietet deshalb eine willkommene Gelegenheit, einiges davon zu schliessen.

Eine erste Uebersicht über die 15 in den letzten 8 Jahren einheitlich untersuchten Volksinitiativen zeigt:

Erstens, die Meinungsbildung bei Volksinitiative ist häufig schon vor der Hauptphase fortgeschritten. Im Schnitt können 86 Prozent der Teilnahmewilligen BürgerInnen rund 50 Tage vor der Abstimmung eine vorläufige Stimmabsicht äussern. 14 Prozent sind im Schnitt ganz unschlüssig. Dieser Wert ist geringer als bei Behördenvorlagen.

Zweitens, die Stimmabsichten sind jedoch bei weitem nicht überall gefestigt. Das gilt namentlich für die Zustimmungsbereitschaft. Diese nimmt in der Regel während eines Abstimmungskampfes ab, während die Ablehnungstendenz in allen Tests zunahm.

Bei den meisten untersuchten Fällen kommt es also zu einem Meinungswandel. Eigentliche Meinungsumschwünge mit umgekehrten Mehrheiten zwischen erster Umfrage und Abstimmungstag kommen in etwa der Hälfte der Fälle vor.

Bekannt ist das Ausmass des Meinungswandels. Setzt er im beschriebenen Masse ein sind 11 Prozentpunkte Verringerung des Ja-Anteil in 40-50tägigen Kampagnen das Mittel, während sich das Nein im Schnitt um 25 Prozentpunkte erhöht. Die Maximalwerte wurden wurden 2003 bei der SP-Gesundheitsinitiative gemessen, wo sich das Ja um 22 Prozentpunkte reudzierte, und das Nein um 43 Prozent aufbaute.

Das eigentliche Gegenteil resultierte beim Gentech-Moratorium, wo es während der Kampagnen zu einem der seltenen Meinungsumschwünge zum Ja kam. Das Abstimmungsresultat lag im Ja 9 Prozentpunkte höher als in der ersten Umfragen.

Die Gründe hierfür sind noch nicht erforscht; sie müssten mittels Arbeitshypothesen geprüft werden; zu diesen zählen:

. Der Meinungswandel tritt als Folge einer intensivierten Beschäftigung mit der Vorlage ein.
. Der Meinungswandel reflektiert die unterschiedliche Intensität der Kampagnen Pro und Kontra.
. Der Meinungswandel ist eine Folge veränderter Problemdeutungen, die sich im Abstimmungskampf von jenen der Pro zu jene der Kontra-Seite verlagert.
. Initiativen scheitern an ihrer materiellen Schwachstelle.
. Ein klares parteipolitischen Profil erschwert es, eine breite Zustimmung zu halten.

Man kann vorläufig festhalten: Punktgenaue Prognosen lassen sich damit nicht machen. Jedoch ist es möglich, Trends in der Meinungsbildung nach Wahrscheinlichkeiten zu bewerten, und damit Szenarien der Zustimmungs- und Ablehnungsbereitschaften zu formulieren, welche die Unsicherheiten nicht beseitigen, aber einschränken.

Claude Longchamp