Balsiger weiss Rat: neues Wahlkampf-Buch für die Schweiz

Wahlkampf – aber richtig“: Unter diesem Titel richtet sich der Berner Politik- und Medienwissenschafter, seit 20 Jahren als Journalist und PR-Berater im Politikumfeld tätig, an die erwarteten 2500 KandidatInnen bei den Nationalratswahlen 2011. Ein Handbuch sei es, preist er sein Werk an. Daran zweifle ich ein wenig, denn es ist anschaulich, aber unvollständig.

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Sieben Trends diagnostiziert PR-Mann Mark Balsiger in der Einleitung zum Buch, während der er den Umbruch der politischen Kommunikation hierzulande skizziert. Wahlkämpfe werden nationalisiert, sie finden permanent statt, Personalisierung und Emotionalisierung kennzeichnen sie, gleichzeitig werden sie inhaltsleerer, massenmedial inszeniert und entwickeln sich nur noch im Internet wirklich weiter. Was das heisst wie in angelsächsischer Tradition anhahnd sechs Fallstudien erfolgreicher Kampagnen präsentiert, um Legislativ- und Exekutivwahlkämpfe einzeln zu analysieren, Bestätigungs- von Neuwahlen zu unterscheiden und Wahlkampagnen von Männern und Frauen zu beschreiben. Mehrheitlich sind es Kampagnen, die Balsiger von aussen her untersucht, eine Minderheit hat er selber geführt.

Originell ist Blasigers Buchauftritt, wo der Politik- und Medienwissenschafter Theorie und Praxis zusammenführt, jedoch nicht einfach geschwätzig aus der Schule plaudert, wie das zahlreiche seiner Kollegen tun, sondern Synthesen wagt. Zum Beispiel die zum politmedialen Wandel in der Schweiz seit 2005: Er bilanziert, dass hergebrachte Milieuparteien mit Parteipresse definitiv zu Randerscheinungen verurteilt, aber auch traditionelle Volksparteien mit Forumszeitungen stark bedroht sind. Die Zukunft, propagiert er, gehöre der komplexen Wählerorganisation mit Parteien und nahestehenden Bewegungen, die ihre Botschaften in einem differenzierten System von Medien senden können und damit auch in Zukunft die gewünschten Zielgruppen erreichen wird. Genau darum führt Balsiger auch die vorläufigen wahlkampf-Erfahrungen mit neuen Medien auf, die sich zwischen Massenmedien und fragmentierte Teilöffentlichkeiten schieben.

Der wissenschaftlichen Kampagnenliteratur in der Schweiz voraus ist Blogger-Balsiger (www.wahlkampfblog.ch) auch mit seinen 26 Erfolgsfaktoren und Benchmark-Kampagnen. Ersteres ist zwar eine Rekapitulation seiner quantitativen Analyse von 2003. Zweiteres verdeutlicht, was mit Anker-, Engagement- und Verpackungsfaktoren gemeint ist, geben doch so unterschiedliche Politiker wie Lukas Reimann, Barbara Schmid-Federer, Nadine Masshardt, Christoph Stalder und Martin Wehrli konkret Auskunft, was sie unter neuer politischen Kommunikation verstehen resp. was sie machen, um in den Nationalrat zu gelangen, GrossrätInnen zu werden, oder in einer Stadtexekutive zu bleiben.

So lesenswert die Kampagnenporträts sind, so unvollständig ist ihre Auswahl. Autor Balsiger begründet die Präferenz damit, dass ihm die Wahlkämpfe besonders aufgefallen seien. Das ist zu subjektiv, um zu generalisierenden Schlüssen zu gelangen. Objektiverweise muss man dem entgegnen, dass ein Handbuch ohne Ständeratswahlkampf nicht geht, eine Uebersicht mit lokalen Bezügen ohne ein Romandie-Beispiel unvollständig ist, und Kampagnbeschreibungen ohne jene der grünen Basistrommler regierungslastig wirken. Und: So vorbildlich die Texte der Fallstudien strukturiert sind, so zufällig wirken die Illustrationen mit Tabellen da und Protokollauszügen dort. Versöhnlich stimmt einen der Anhang, der mit der vorbildlichen Systematik zu den Kantonen als wichtigste Wahlkreise in der Schweiz sauber dokumentiert wird – hinsichtlich der so unterschiedlich verbliebenen Parteienprofile, aber auch weiterer nützlicher Eckdaten.

Meinen Studierenden werde ich Balsigers Buch empfehlen. Weil es über alles gesehen ausgesprochen informativ ist. Weil es sich von A bis Z gut und schnell lesen lässt. Weil es solid geprüftes Praxiswissen aufbereitet. Und weil es, was selten genug ist, auf der Höhe der Schweizerzeit im unpolemischen Sinne ist.

Claude Longchamp