Kann man Ständeratswahlen prognostizieren?

Im Prinzip Ja, sagt Politologie Ruedi Burger. Im Detail weiss er aber auch nicht, wie man mitentscheidende Faktoren gewichten soll. Ich glaube ihm das, den eine solche Prognose muss im Ansatz komplexer sein.

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Das Problem ist bekannt: Ständeratswahlen sind schlecht erforscht. Unverändert gilt, dass man sie zu den Persönlichkeitswahlen zählt, das heisst, die Person den Ausschlag gibt. Das ist so nicht falsch, wohl aber auch nicht richtig. Denn die Wahlchancen von StänderatskandidatInnen hängen offensichtlich auch vom Wahlkreis, dem Wahlrecht, den Rücktritten, den Motivationen einer Kandidatur und der Allianzbildung unter Parteien bzw. mit Verbänden ab. Das alles ergibt, höchstwahrscheinlich, einen Mix aus Eigenschaften von Persönlichkeits- und Parteiwahlen.

Keiner hat sich so lange mit Panaschierdaten bei Nationalratswahlen beschäftigt wie der Zürcher Politikwissenschafter Ruedi Burger, zwischenzeitlich Journalist und Politiker im bernischen Bolligen. Und er hat eine interessante These, die er im “Bund” veröffentlichte: Wer ein Amt im Ständerat anstrebt, muss ein bekannter und erfahrener Politiker (oder eine bekannte und erfahrene Politikerin) sein. Deshalb sind die meisten KandidatInnen zu Zeit der Wahl im Nationalrat, womit man über effektive Wahlergebnisse zu ihnen und ihren Parteien verfügt – dem Königsweg für die Prognose von Ständeratswahlen.

Burger nimmt die Panaschierergebnisse nicht einfach zum Nennwert. Zuerst bestimmt er, wieviele Panaschierstimmen von ausserhalb der eigenen Partei kommen. Stimmen aus Regional- oder Geschlechterlisten einer Partei lässt er nicht gelten. Dann gewichtet er die verbleibenden Panaschierstimmen im Verhältnis der WählerInnen-Anteile ausserhalb der eigenen Partei.

Bezogen auf die anstehenden Ständeratswahlen im Kanton Bern kommt er zu einem interessanten Schluss: Panaschierkönig ist nicht Adrian Amstutz, obwohl er am meisten Stimmen überhaupt machte. Panaschierkönigin ist Christa Markwalder, die auf 15,5 Prozent der Nicht- FDP-Listen aufgeführt wurde, gefolgt von Ursula Wyss mit einem Score von 13,5 Prozent ausserhalb der SP. Erst dann folgt Adrian Amstutz mit 9,2 Prozent ausserhalb der SVP.

Bei der Hausmacht lautet die Reihenfolge jedoch genau umgekehrt. Die Partei von Amstutz ist die stärkte, jene von Wyss die zweite, und die von Markwalder die schwächste.

Aus der Kombination beider Indikatoren leitet Burger seine Prognose ab. Sie lautet: Im ersten Wahlgang wir keiner der drei Top-KandidatInnen gewählt. Die Reihenfolg ergibt sich aus der Hausmacht, also Amstutz vor Wyss und Markwalder. Wegen der Spaltung im bürgerlichen Lager zwischen SVP und BDP/FDP schafft Amstutz das absolute Mehr jedoch nicht. Für den zweiten Wahlgang ist alles offen, denn dann kommt es wirklich darauf an, ob sich eine rechte und eine linke Bewerbung gegenüber stehen.

Die Prognose ist durchaus plausibel. Sie kann aber auch ohne den langen Umweg über Panaschieranalysen gemacht werden. Denn sie leitet sich einzig aus dem Faktor “Hausmacht und Parteiallianzen” ab.

Seit einiger Zeit arbeite ich an einem Prognosemodell für Ständeratswahlen. Meine Erfahrung ist, dass man die Wahlchancen einer Bewerbung mehrdimensional bestimmen muss:

. aus dem Anlass heraus, wobei die frei werdenden Sitze massgeblich sind,
. aufgrund der Kandidaturen selber, wobei das “Bisher”, die Bekanntheit, der Leistungsauweis, die Partei- und Regionszughörigkeit eine Rolle spielen, und
. aufgrund der Allianz-Situation heraus, wobei man genau so auf unterstützende Parteien, Verbände und Medien abstellen wie auch auf die Konkurrenzsituation im eigenen Lager abstellen muss.

Schliesslich kann einen Wahlkampf auch Dynamik kommen, die man nicht vorhersehen kann, sodass der Einfluss der genannten Determinanten variiert. Das macht dann das Prognosegeschäft schwieriger.

Burger hat eine gute Idee lanciert, so mit einer Prognose versehen, sie aber noch nicht hinreichend ausgearbeitet. Seine Konzentration auf Panaschierstimmen hilft, Personeneffekte der möglichen Ausstrahung auf andere Parteien zu bestimmen. Für die Prognose reicht das aber nicht.

Am 13. Februar weiss man vielleicht mehr, sicher am 6. März, sollte es zu einem zweiten Wahlgang kommen.

Claude Longchamp