Einfache und entwickelte Ansätze der Abstimmungsanalyse

Der einfachste Ansatz der Analyse von Abstimmung geht von der Annahme aus, dass die vom Parlament beschlossenen Vorlagen von den Kräften bestimmt werden, welche die Wahlberechtigten gewählt haben, sodass sich diese als Stimmberechtigten gleich wie das Parlament entscheiden.


Uebersicht über die zentralen Zusammenhänge für die Abstimmungsanalyse gemäss Dispositionsansatz (quelle: gfs.bern)

Das ist zwar nicht generell falsch, aber nicht präzise genug. Immer wieder gibt es Divergenzen zwischen parlamentarischen und direktdemokratischen Entscheidungen. Diese kann man ohne eine Analyse der Prozesse der Meinungsbildung nicht verstehen.

Deshalb kritisiere ich Modelle wie zitiert entweder als basis- oder aber als elitedemokratisch überzeichnet. Sie entsprechen der vorfindbaren Realität nicht. Es gilt, den restringierten Ansätzen der Abstimmungsanalyse einen elaborierten gegenüber zu stellen.

Der wesentliche Unterschied zwischen der einfachen und der entwickelten Annahme besteht darin, das Wahlentscheidungen nicht frei von Mal zu Mal erfolgen, sondern sich viel Gewohnheit in ihnen spiegelt. In Abstimmungsentscheidungen hilft diese Wahlgewohnheit aber nur bedingt weiter. Das ist vor allem dann der Fall, wenn man sich durch Vorlagen wenig angesprochen fühlt, und die Entscheidung den politischen Parteien überlässt.

Wenn das nicht der Fall ist, gehen die Stimmberechtigten von ihren Alltagserfahrungen mit dem angesprochenen Problem, den vorgeschlagenen Lösungen und den Träger der Vorlage aus. In einem eigentlichen Meinungsbildungsprozess reichern sie diese mit spezifischen Informationen aus den Kampagnen Pro- und Kontra an, die im Umfeld der Abstimmungssituation bewertet werden. Erst daraus ergeben sich verbindliche Abstimmungsentscheidungen.

Deshalb sind Abstimmungsprognose viel anspruchsvoller zu erstellen als Wahlprognosen. Entscheidungen bei Volkabstimmungen sind nicht alleine eine Folge von Parlamentsentscheidungen und Parteiloyalitäten. Ihnen gehen Prozesse der Meinungsbildung voraus, in denen sich die Prädispositionen und Informationen zu einer Entscheidung verdichten.

Weil der Prozess der Meinungsbildung in diesem Ansatz so entscheidend ist, habe ich ihn Dispositionsansatz genannt. Disposition meint dabei, die Herausbildung von Stimmabsichten aus den Alltagserfahrungen einerseits, den kampagnespezifischen Informationen anderseits.

Claude Longchamp