Vom teuersten Wahlkampf aller Zeiten

“Den teuersten Wahlkampf aller Zeiten” kündigen die Tageszeitungen von heute an. Die grosse Buchstaben können aber nicht darüber hinweg täuschen, dass man sehr wenig über Geld in Wahlkämpfen weiss. Eine Auslegenordnung.

Tagesschau vom 27.12.2010
Quelle: Tagesschau

3 Millionen Franken will die CVP für die Wahlen 2011 ausgeben, 2,6 Millionen sind es bei der FDP. Damit will man auf die SVP reagieren, won der man sagt, sie haben 2007 15-16 Millionen in ihren Superwahlkampf investiert. Eigenangaben der SVP erhält man nicht, genauso wenig wie von der SP. Informell hört man Zahlen rund um 1,5 Millionen. Das spricht dafür, dass 2011 mehr ausgegeben wird als noch 2007, gemeinhin dem bisher teuersten Wahlkampf aller Zeiten.

Auch wenn die Aussagen einige Evidenz für sich beanspruchen darf, kann man nicht darüber hinweg sehen, dass es kaum etwas Zuverlässiges über die Wahlkampffinanzen in der Schweiz gibt. Das hat damit zu tun, dass es keine generelle Pflicht zur Oeffentlichkeit zu Parteifinanzen gibt, und dies gerade in Zeiten geldintensiverer Wahlkampagnen von besonderem Nachteil ist.

Die Erfahrungen mit dem Thema lassen mich aus fünf Gründen vorsichtig sein mit den erwähnten Zahlen:

Erstens weichen Fremd- und Selbstangaben fast immer voneinander ab; diese sind chronisch tiefer, jene höher, wobei auch Absicht dahinter steckt: Geld bei Wahlen ist ein Thema der “anderen”.
Zweitens kommt es erheblich darauf an, ob man spezifsichen Kampagnenbudgets kommunziert, oder aber auch die versteckten Aufwendung in den ordentlichen Budgets miteinbezieht, denn Parteisekretariate arbeiten in Wahljahren überwiegend für den Jahreshöhepunkt im Oktober.
Drittens wird nicht sauber zwischen nationalen und kantonalen Budgets unterschieden; diese sind vor allem bei föderalistisch strukturierten Parteien regelmässig höher.
Viertens gibt es unterschiedlichen Praxen, wenn es um das Geld der KandidatInnen geht; deren Einsatz reicht von sehr wenig bis ausgeprochen viel, namentlich wenn es sich um aussichtsreiche Aufbaukandidaturen handelt.
Fünftens und vielleicht am wichtigsten ist die Fragen nach der Herkunft der Gelder, nicht zuletzt weil Grossspenden viel eher mit Erwartungen verknüpft sein dürften als Kleinspenden.

Die Schweizer Medien haben das Thema Wahlkampffinanzen entdeckt. Sie folgen damit dem Trend in den USA. Die Präsidentschaftswahlen 2008 wurden einhellig als die teuersten bewertet; auch die mid-terms dieses Jahre bekamen dieses Attribut. Nicht selten wir die Problematik aber einseitig vorgeführt: Wer mehr investiert, gewinnt. Oder legt mindestens mehr zu. Das hat zwar bezogen auf die SVP so etwas wie eine primäre Evidenz, denn gleichzeitig legt sie seit 1995 regelmässig zu und hat sie ihren Wahlkampf amerikanisiert. Doch schon bei der FDP gehen die Tendenzen auseinander. Mindestens im Inseratebereich lag die Partei an zweiter Stelle, und dennoch verlor sie die Wahlen exemplarisch.

Wichtiger wäre es, mehr über den Zusammenhang zwischen Medienpositionierungen und Inseratevolumen zu erfahren. Denn das gehört, genauso wie die Wahlkampfausgaben der Parteien, zu den tabuisierten Themen der Medien. Zwar ist es sicher nicht so, dass hier die Nachfrage alleine das Angabot bestimmt, die Parteifinanzen die Medienpositionen bestimmen. Doch sind gerade in Zeiten, in denen Medien an allen Ecken und Ende sparen müssen, vergrösserte Kampagnenbudgets in erster Linie für die Medien relevant. Bekannt ist, dass kleine Zeitungen dringend darauf angewiesen sind, und der Verdacht liegt nahe, dass die Kommentierung von Parteien resp. die Brücksichtigung von KandidatInnen davon nicht unbeeinflusst ist.

Bisher zu wenig beigetragen zur Versachlichung der Diskussion hat die hiesige Politikwissenschaft. Zwar diskutiert sie seit den 80er Jahren Zusammenhänge zwischen Geld, Macht und Politik theoretisch, ohne dass seither gültige Instrumente zu ihrer empirischen Bestimmung entstanden wären. Das ist ein offensichtliches Manko, der sich auf der Intransparenz ableitet, diese aber nicht wirklich verringert. Immerhin, professionelle Wahlkampfmanager wie der frühere CVP-Generalsekretär Hilmar Gernet kündigen an, im Wahljahr sein Wissen, das in einer Dissertation zusammengetragen hat, auf den Tisch legen zu wollen. Das ist lobenswert, denn es ist der unerlässiche erste Schritt zur Regulierung des sensiblen Themas in der Wahldemokratie.

Claude Longchamp