Die Ausschaffungsinitiative interessierte im Vorfeld der Entscheidung wie schon lange kein anderes Thema mehr. Entsprechend zahlreich waren die im Voraus publizierten Umfragen. Eine gute Gelegenheit, sie auf ihre Brauchbarkeit hin zu testen.
Uebersicht über Ergebnisse und Kennwerte der 6 Vorbefragungen zur Volksabstimmung über die Ausschaffungsinitiative
grafik anclicken, um sie zu vergrössern
Die SVP veröffentlichte im Abstimmungskampf ihre eigene “Volksbefragung“. Demnach sind 67 Prozent für die Ausschaffung krimineller AusländerInnen. Auf einen ähnlichen Wert kam “20 Minuten“, nämlich auf 66 Prozent BefürworterInnen (und 34 Prozent GegnerInnen) der Initiative. Die Sonntagszeitung veröffentliche eine Befragung von Isopublic mit 62 Prozent Zustimmung (und 30 Prozent Ablehnung). Die Medien der SRG publizierten zwei vergleichbare Erhebungen von gfs.bern mit zuerst 58 (und 37 % Nein), dann 54 Prozent im Ja-Anteil (und 43 im Nein-Anteilo). Die Weltwoche wiederum machte eine Untersuchung von Swiss Opinion mit 44 Prozent Ja (und 45 Prozent Nein) publik, während der Tages-Anzeiger-Online auf 38 Prozent Zustimmung (und 62 Prozent Ablehnung) kam (nicht mehr auf dem Web).
Der Streubereich der Abweichungen ist beträchtlich. Von massiver Zustimmung bis massiver Ablehnung gibt es alles. Die grösste Abweichung zum effektiven Ergebnis hatte die TA-Umfrage. An zweitletzter Stelle folgte die SVP-Volksbefragung, praktisch gleich auf mit der 20 Minuten-Erhebung. Interessant ist, dass die Zahl der Befragten kaum einen Einfluss hatte. Bei der SVP-Erhebung machten rund 70’000 Personen mit, bei 20 Minuten zirka 15’000 mit Stimmrechte. Ganz anders verhält es sich bei der TA-Umfrage, die sich auf weniger als 1000 AuskunftgeberInnen stützte.
Das Gemeinsame an allen Befragungen mit grosser Abweichung ist ihre Nicht-Repräsentativität, die durch das freie, und damit unkontrollierbare Mitmachen auf Internet entsteht. Bei SVP-Initiative kam ein Postkartenversand hinzu, aber nur bei Parteimitgliedern, was die Sache verschlechterte, nicht verbesserte.
Die formalen Kriterien der Repräsentativität erfüllen nur die drei anderen Umfragen. Sie lagen alle besser. Zwei davon, die von Isopublic resp. gfs.bern wurden nach der klassischen Methode der computer-unterstützten Telefoninterivews mit BefragerInnen gemacht, derweil die Erhebung von Swiss Opinion auf reinen Computer-Interviews basiert. In allen drei Fällen wurde eine eigentliche Stichprobenbildung nach dem at random Verfahren gewählt, was das einzige Kriterium ist, das Repräsentativität sichert.
Wenn die drei Erhebungen dennoch Unterschiede zeigen, hat dies zunächst mit dem Zeitpunkt der Erhebung zu tun. Isopublic war zuerst, dann kamen die beiden Wellen von gfs.bern. Man kann sie fast in eine Reihe stellen und sieht, wie der Ja-Anteil von Woche zu Woche leicht abnahm (und dies auch bis zum Abstimmungstag tat), während sich das Nein sukzessive aufbaute.
Es bleibt die Differenz zwischen der 2. Erhebung von gfs.bern und der von SwissOpinion, die gleichzeitig gemacht wurden. Sie haben einen vergleichbaren Nein-Anteil, aber einen klar unterschiedlichen Ja-Wert. Was auch immer für Gründe man hierfür herausfinden wird, eines ist klar: Die Behauptung der Vertreter der Interactive-Voice-Response Methode, dank reinen ComputerInterviews keine Beeinflussung aufgrund von InterviewerInnen in heiklen Themen zu kennen, ist gründlich widerlegt. Zuerst die die Zahl der Unschlüssigen bei der IVR Erhebung höher, sodann ist ausgerechnet der Ja-Anteil tiefer.
Unter dem Strich bleibt: CATI-Erhebung mittels repräsentativer Stichprobenbildung sind und bleiben die zuverlässigsten Umfragen bei Abstimmungen. Die so ermittelten Ergebnisse sind aber nicht zeitpunktunabhängig, weil die Meinungsbildung selber dynamisch ist. Deshalb können nur Trenduntersuchungen abschätzen, was am Abstimmungstag geschieht. Interessant ist auch, dass die zuverlässigsten Umfragen von Instituten des Branchenverbandes gemacht wurden, für die Qualitätsauflagen gelten. Am krassesten dagegen verstiess die Online Umfrage des Tagesanzeiger, 3 Tage vor der Abstimmung gemacht, am Abstimmungssamstag publiziert und am Tag darauf widerlegt. Eigentlich hätte sie gar nie erscheinen dürfen!
Claude Longchamp
Das zeigt mir einmal mehr, dass man sich auf Unfragen – egal von wem und welche – sich nicht als Sieger, resp. Verliere fühlen darf und überhaupt kein Verlass darauf ist
eine ziemlich undifferenzierte antwort auf einen beitrag, der versuchte, zu differenzieren …
Ich finde es schon wichtig, dass man zwischen repräsentativen und nichtrepräsentativen Umfragen unterscheidet.
Für mich als Laie ist das aber nicht einfach zu merken!
wer so neugierig ist, die völlig überflüssigen Umfragen zu lesen, der sollte sich halt auch für die Entstehung derselben interessieren.
@Dani
warum willst du dich auf Umfragen verlassen können?
Willst du zu den Siegern gehören??
Vielen Dank für Ihren vergleichenden Blogbeitrag. Sie schreiben: “Es bleibt die Differenz zwischen der 2. Erhebung von gfs.bern und der von SwissOpinion, die gleichzeitig gemacht wurden.” In der Tabelle weichen die Daten um einen Monat ab. Was ist korrekt? Merci für die Klärung. Wir haben Ihren Beitrag in unseren Übersichtsbeitrag zu den Abstimmungen aufgenommen: http://blog.politnetz.ch/2010/11/28/ausschaffungsinitiative-und-gegenvorschlag-resultate-analysen-kommentare/
Es ist klar, in der Tabelle ist ein Verschreibener, beide Umfragen sind im November gemacht worden, nicht im Oktober. Ich werde das ändern, wenn ich wieder im Büro bin.
Solche Uebersichten sollte es schon vor der Abstimmung geben. So würde man ein Gefühl bekommen, was ist – und was nicht ist. Gibt es denn niemanden, der das laufenden macht?
Sehr geehrte Damen und Herren, unter dem folgenden Link finden Sie die Stellungnahme von SwissOpinion zum Blog-Eintrag von Claude Longchamp: http://www.swissopinion.ch/index.php/blog/29-gedanken-zu-den-beiden-blog-beitraegen-sechs-umfragen-zur-ausschaffungsinitiative-im-vergleich-und-methoden-der-amerikanischen-wahlforschung-bei-schweizer-abstimmungen-nicht-einfach-uebertragbar-des-gfsbernclaude-longchamp
was für ein interesse besteht an Umfragen, ausser die Neugierde zu befriedigen?
[…] Sechs Umfragen zur Ausschaffungsinitiative im Vergleich (zoonpoliticon.ch, Claude Longchamp) […]
Warum kann man nicht später Umfragen machen, wenn es auf den Zeitpunkt darauf an kommt???
In der Schweiz ist die Publikation von Umfragen 10 Tage vor Wahlen und Abstimmungen untersagt.
Daran halten sich alle Institute, die Mitglied des Branchenverbandes VSMS sind.
Die verpflichten sich, weitere Vorschriften einzuhalten, die insbesondere der Qualitätssicherung dienen.
Von den oben genannten Instituten sind gfs.bern und Isopublic Mitglieder.
Die 10 Tage-Frist ist kein Gesetz, sondern ein Gentlement Agreement mit der Politik, die befürchtet, Umfrage ganz kurz vor der Abstimmung könnte einen Einfluss haben.
Die Zeitungen selber sind nicht Mitglieder, halten sich in der Regel aber an die Auflage.
Die online Redaktionen sind hier die grosse Ausnahme. Sie fühlen sich nicht verpflichtet, Auflagen zu beachten. So handelte auch die Online-Plattform des Tages-Anzeigers, die 1 Tage vor dem Abstimmungsssonntag noch eine Umfrage veröffentlichte. Streng genommen hält sich sich die Weltwoche nicht an die Regel, denn die Publikation erscheint am 9. Tage vor dem Abstimmungssonntag. SwissOpinion kümmert sich nicht darum, weil das Institut dem Branchenverband nicht beigetreten ist.
at rehcolb
Jedes Medium will und kann sich damit profilieren. In der Regel werden Umfragen weiterzitiert, und die Anschlusskommunikation gilt als Kriterium, dass man eine Information als Erster verbreitet und/oder eine Diskussion ausgelöst hat. Das ist in den Redaktionen meist der wichtigste Grund.
Zum Beispiel in den Sozialwissenschaften: Da ist der Hauptgrund, ein realistisches Bild der Entscheidung zu gewinnen. Ursprünglich dachte man, es reiche, die BürgerInnen im Nachhinein zu befragen, die Stimmenden und die Nicht-Stimmenden zu vergleichen, ebenso die AnhängerInnen der Parteien, oder die verschiedenen Gesellschaftsgruppen. Dann merkte man, dass Meinungsbildung (wie es das Wort eigentlich sagt), ein Prozess ist. Entscheidungen stehen nicht ein für alle Male fest, sondern bilden sich unter dem Eindruck von Abstimmungskämpfen. Sie bilden sich aufgrund von Informationsverarbeitung heraus, sie verfestigen sich aufgrund früher Einstellungen, oder aber es kommt zu einem Meinungswandel. Letzeres ist aus meiner Sicht am interessantesten: So kommt es bei Initiativen häufig vor, dass man aufgrund einer frühen und schnellen Entscheidung eher für die Initiative ist, weil sie ein bekanntes Problem aufgreift, das einem stört. Die Beschäftigung mit dem Inhalt der Initiative führt dann aber doch nicht zu einem Ja, weil man gegen die vorgeschlagene Lösung ist. Das war beispielsweise bei der Steuergerechtigkeitsinitiative klar der Fall, bei der Ausschaffung in beschränktem Masse.
Eine typische Ausführung von meinem Kollegen Lukas Golder hierzu: http://www.gfs.ch/gesellschaft/golder.html
at Anna
Leider nein!
Ich würde es begrüssen, wenn eine dritte Instanz, ausserhalb der Produzenten das machen würden.
In den USA sind solche Websiten zwischenzeitlich bestens besucht, und sie konkurrieren darum, möglichst gute Einschätzung von Wahlumfragen zu machen.
Ich habe kürzlich darüber berichtet: http://www.zoonpoliticon.ch/blog/11676/wohin-sich-politische-blogs-in-der-schweiz-entwickeln-konnten/.
Aehnliches gibt es auch in Grossbritannien: http://www.zoonpoliticon.ch/blog/8710/ukpollingreport/
SwissOpinion hält sich auch ohne Mitgliedschaft an die Richtlinien des Branchenverbandes VSMS und sieht im bisherigen Vorgehen in keinster Weise eine Verletzung der Bestimmungen. Ein ausführlicher Kommentar finden Sie unter:
http://www.swissopinion.ch/index.php/blog/31-swissopinion-bekennt-sich-zu-den-richtlinien-des-branchenverbandes-vsms
@cal
Dass Umfragen die Meinungsbildung verstärken, ist schon anzunehmen.
Dass sie die Meinungsbildung beeinflussen, kann ich nicht abschätzen.
Was ja völlig falsch wäre.
Ich meine aber, dass die Meinungsbildung durch mehr Information angefacht werden sollte.
Dass Umfragen den Medien nützt, ist klar. Also Mittel zum Selbstzweck, was natürlich legal ist. Für die Sache scheint mir das nicht zu dienen.
at rehcolb
Diese Diskussion führten wir schon einmal auf diesem Blog, recht gründlich:
http://www.zoonpoliticon.ch/blog/7235/beeinflussung-vielfach-vermutet-aber-nie-belegt/
genau …. und sie wird uns, solange es Medien gibt, die ihr Geld schneller und damit lieber mit Effekthascherei verdienen wollen, noch lange begleiten.
Ich wünschte mir, dass die Medien die Parteien so aus der Reserve locken, dass diese alle Argumente auf den Tisch legen und dann gemeinsam mit Kriterien gegeneinader abwägen.
Was geboten wird, sind leider nur Allgemeinplätze, Statements usw, und das dient dann nicht der Sache.
[…] Sechs Umfragen zur Ausschaffungsinitiative im Vergleich (zoonpoliticon.ch, Claude Longchamp) […]