Drei Mal SP

Die SP Schweiz freut sich über den Wahlsieg der Partei im Kanton Jura. Zurecht. Doch ist das die erhoffte Wende mit Blick auf die Wahlenv on 2011. Skepsis ist angebracht. Denn es gibt wohl nicht eine SP, sondern drei Strömungen in einer Partei.

Im bernischen Seedorf brach die linke Allianz unter Führung der SP bei den Gemeinderatswahlen vor einer Woche förmlich ein. Sie verlor ihre beiden Sitze in der siebenköpfigen Dorfregierung. Grosse Siegerin war die BDP, die zulasten der rechten und linken Gruppierungen zulegte. Kleine Gewinnerin waren die Grünen, die sich aus der Linksallianz lösten und einen Sitz eroberten. Die SP beklagte sich nach der Wahl, angesichts der neuen Parteiausrichtung auf dem Land nicht mehr mobilisieren zu können.

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Wegen oder trotz neuem Parteiprogramm: Steht die SP im Kanton Jura nach dem Wahlsieg von heute für eine gesamtschweizerischen Wende? – Ich habe meine Zweifel.

Ganz anders das Resultat bei heutigen Regierungsratswahlen im Kanton Jura. Die SP gewann nach einem Sitzgewinn vor drei Wochen im Parlament auch einen in der fünfköpfigen Regierung hinzu – dies zulasten der Christlichsozialen. Damit repräsentiert die SP die linken WählerInnen in der jurassischen Regierung alleine, und sie hat allen KritikerInnen des neue Parteikurses gezeigt, dass man auch heute mit sozialdemokratischen Idealen punkten kann.

In Köniz, wo ich am Samstag an einer Klausur der Ortspartei der neuen SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga einen Vortrag über die SP-Wählerschaft hielt, begegnete ich einer dritten SP: Kein Desaster wie auf dem Land, aber auch keine Euphorie wie in der Romandie machte sich breit. Nach dem Parteitag ging ein Ruck durch die GenossInnen. Zahlreiche Aktive und Mitglieder waren geschockt über die Kritik, namentlich aus den Medien, wollen nun aber umso klarer beweisen, was sozialdemokratische Arbeit in Regierungen, Parlamenten und an der Basis leisten kann.

In meiner Analyse der linken Wählerschaft der Schweiz, die ich auf rund 30 Prozent veranschlage, gibt es drei relevante Strömungen:

. den rotgrünen mainstream: Linke Postulate in Sozial-, Wirtschafts- und Finanzfragen gehen hier einher mit den Forderungen der neuen sozialen Bewegungen wie die Umwelt- oder Frauenbewegung, welche die linke in den letzten Generation erneuert haben. Opposition insbesondere gegen bürgerlichen Sparpolitiken und fremdenfeindliche Tendenzen lassen kritischer Antworten zur Positionierung aufkommen. 2007 gewannen die Grünen vor allem hier zulasten der SP, und seither ist das Verhältnis der beiden Parteien trotz inhaltlicher Nähe ihrer mainstream-WählerInnen angespannt.

. den Linksliberalismus: Linksliberale mögen Grundsatzfragen und Positionierungsspiele weniger, denn sie sind pragmatischer. Linke Tabus leiten sich nicht, der Staat ist eine Möglichkeit des Handelns, aber nicht die einzige. Für innovative Projekte mit Exponenten der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft sind sie offen. Je mehr die SP und die Grünen dagegen sperren, umso eher wenden sie sich anderen Parteien zu, heute namentlich im urbanen Gebiete mit Vorliebe den Grünliberalen, mit denen sie bereit sind, auch andere Allianzen gegen die Mitte einzugehen.

. den Sozialkonservatismus: Die Errungenschaften der schweizerischen Arbeiterbewegung sind ihnen am wichtigsten. Der Aussenorientierung der SP mit Forderungen nach dem EU-Beitritt, aber auch mit offenen Grenzen und Einwanderung stehen sie skeptisch gegenüber. Mehr Schutz für die einfachen Leute wäre ihr bevorzugtes Parteiprogramm. Wenn sie es bei der SP nicht mehr genügend finden, steigen sie aus der Politik aus, oder wenden sich, namentlich in der deutschen Schweiz und auf dem Land schweizerisch ausgerichteten Parteien zu, in der Romandie bisweilen auf linken Bewegungen, die sich an Wahlen beteiligen.

Das alles zeigt auf, dass es gegenwärtig wohl drei SPs gibt: diejenige, die am Parteitag in Lausanne gewonnen hat und klar darauf setzt, wieder die Nummer 1 für linke WählerInnen zu sein; diejenige, die Real- über Idealpolitik stellt, dafür auch mit dem politischen Zentrum unvoreingenommen kooperieren will, und diejenige, die sich fürchtet, unter die Räder der globalen Wirtschaft, aber auch der Aktiven innerhalb der Linkspartei.

Der SP kann man eigentlich nur raten, alle drei Strömungen innerhalb des Potenzials ernst zu nehmen, nicht das Geschäft nur einer machen zu wollen und nach innen weniger polarisierend, dafür mehr integrierend zu wirken. Denn die einizige Hoffnung auf den Wahlsieg 2011, den Parteipräsident Christian Levrat seit längerem verspricht, ist, sich an Erfolgen bei Abstimmungen und Wahlen der Gegenwart soweit zu wärmen, um mit neuer Energie neue Menschen für das eigene Projekt zu mobilisieren, die in der Endabrechnung zahlreicher sein müssen, als die Abgänge, die angesichts der neuen Ecken und Kanten, die man sich zugelegt hat, unvermeidlich erscheinen.

Seedorf ist dabei der eine extreme Pol, der Kanton Jura der andere, was passieren kann. Entscheidend ist aber, was mit der SP wie in Köniz geschieht.

Claude Longchamp