“Basels industrielles Erbe macht die Stadt konservativ”

Man nehme: ein Vorurteil. Man widerlege es mit einem Mix an Zahlen. Und man schaffe ein neues Vorurteil. So funktioniert der Journalismus der Basler Zeitung, seit sie mit Markus Somm einen neuen, konservativen Chefredaktor hat.

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Ueber alle Abstimmungsergebnisse hinaus betrachtet ist Basel eindeutig liberal, nicht konservativ

“Im Herzen Europa, trinational und weltoffen”, beginnt der Bericht von Alan Cassidy über das Abstimmungsverhalten Basels, typische Worte des Stadtmarketings zitierend. Stimmt nicht, sagt der Autor. Basels industrielles Erbe habe die Stadt konservativ gemacht, kontert er.

Gestützt wird das Ganze durch Material aus einem Vortrag von Michael Hermann, führender Politgeograph der Schweiz, der jüngst an der Uni Basel referierte. Sein Thema war das Stimmverhalten der fünf Schweizer Grossstädte im internurbanen Vergleich. Untersucht wurden dabei 20 eidgenössische Abstimmungen seit 1970 zur aussenpolitischen Oeffnung und zur einer restriktiveren Migrationspolitik.

Was im Bericht der BaZ folgt, ist ein Verwirrspiel mit zwei Sorten von Vergleichen. Denn Hermanns Aussagen beziehen sich auf die Unterschiede der 5 grossen Städte zum nationalen Mittel. Die BaZ aber interpretiert das als Trend in der Stadt angesichts der Veränderungen durch die Industrialisierung und ihren Folgen.

Fakt ist: Die höchsten Ja-Werte in den genannten Themenbereichen gibt es in den deutschschweizer Grossstädte regelmässig in Bern. Bei der aussenpolitischen Oeffnung ist das seit dem EWR-Entscheid 1992 immer so gewesen. Und in der Migrationsfrage gilt dies seit den Einbügerungsabstimmungen von 1994. Der Schock der Städter, in der ersten Europa-Abstimmung vom 6. Dezember 1992 von den Miteidgenossen in der deutsch- und italienischsprachigen Schweiz zurückbunden worden zu sein, hat nicht nur in der Bundesstadt, sondern weitgehend im grossurbanen Bereich den Stadt/Land-Konflikt in Sachentscheidungen an der Urne ansteigen lassen. Das war noch in den 70er und teilweise in den 80er Jahren ganz anders. Denn die deutschschweizer Grossstädte votierten in den 70er und 80er Jahren konservativer als die gesamte Schweiz, wenn es beispielsweise um Ueberfremdungsfragen ging.

Doch das wäre der Baz keine Schlagzeile Wert gewesen. So spitzte sie zu. Sie macht aus “konservativer” im interurbanen Vergleich (imn Text) schlicht “konservativ” im absoluten Sinne (im Titel) und interpretiert das als Folge der sozialen Entwicklungen in der Stadt. Hinhalten muss dafür die “Verbürgerlichung der Industriearbeiterschaft”, die mit dem Wirtschaftsaufschwung zu Eigentum und Vermögen gekommen sei und seither am Bewahren des Erreichten Interesse. Das alles kann man in anderen Städten auch beobachten, doch passt nicht zur These des Artikel, der alles umkehrt: “Basels industrielles Erbe macht die Stadt konservativ”.

Nun ist das alles nicht ganz falsch, im genannten Zusammenhang aber nicht wirklich erklärend. Denn der Trend in allen urbanen Gebiete geht seit fast 20 Jahren in Richtung Oeffnung und Offenheit – nicht umgekehrt. In Basel ist dieser Trend bei Oeffnungsfragen ein wenig schwächer, aber gleich gerichtet. Dieses Delta der Verönderung ist es, das die Baz hochstiliert, und aus dem Kontext gerissen ins Gegenteil gewendet und in der Schlagzeile gesetzt zu werden.

Um es klar zu sagen: Konservativ ist die Schweiz auf dem Land, nicht aber in den Grossstädten. Doch das passt nicht zur Brille des neuen Chefredaktors, selber vom linksliberalen Schreiberling zum rechtskonservativen Propagandist mutiert. Und da er nun auch in Basel vordenkt, muss ganz Basel alles so lesen werden, wie er es gerne hätte. Auch wenn das Material dazu so gar nicht passen will.

Wie gesagt: Images sind immer vereinfachend, lassen sich fast immer widerlegen, was noch lange kein Grund ist, neue Images kreiieren zu müssen! Besser wäre es, auf Images zu verzichten, und über die Realität zu berichten. Zum Beispiel, dass Basel Oberschicht, der Daig, von Grund auf konservativ ist und solchen Interpretationen ihrer Stadt nachhängt, weil Freisinnige, Linke und Grüne längst andere Schwergewichte gesetzt haben.

Claude Longchamp