Problematische Kommunikationskonstellation

Am 28. November 2010 stimmt die Schweiz über die Ausschaffungsinitiative der SVP für kriminelle AusländerInnen, den behördlichen Gegenvorschlag hierzu und die SP-Steuergerechtigkeitsinitiative ab. Zuständig sind das EJPD und das EFD. Beide erhalten Mitten im Abstimmungskampf neue ChefInnen – und damit neue KommunikatorInnen, welche den Standpunkt von Bundesrat und Parlament in der Sache zu vertreten haben.

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Konkret sieht das wie folgt aus: Eveline Widmer-Schlumpf, Chefin des EJPD, eröffnete vorgestern die Kampagne gegen die SVP-Initiative und für den Gegenvorschlag hierzu. Hans-Rudolf Merz machte das Gleiche heute in Sachen SP-Steuerinitiative. Ende Monate scheidet er aus dem Amt aus, seine Nachfolge tritt Eveline Widmer-Schlumpf an, die ihrerseits durch Simonetta Sommaruga ersetzt wird.

Widmer-Schlumpf wird die Hauptphase des Abstimmungskampfes zum Ausschaffungsthema wohl nicht mehr bestreiten. Die Sache wurde zwar von ihr mit dem Bundesrat und dem Parlament vorbereitet, und auch die Kampagne der Behörden, die längst geplant ist, fand noch unter ihren Vorgaben statt. Kommunizieren wird sie aber kaum mehr. Das ist problematisch, denn es schadet der Glaubwürdigkeit. Von Glück ist es für die Behörden, dass die moderate Sozialdemokratin im Parlament genauso wie die Mehrheit gestimmt hatte: für den Gegenvorschlag, gegen die Initiative.

Problematisch wäre es allerdings auch, würde Widmer-Schlumpf als Superministerin auf Zeit auftreten und beide Kampagnen der Bundes öffentlich vertreten. Denn im Finanzdepartement besteht ein vergleichbares Problem: Alles wurde unter Merz vorbereitet, richten wird er es aber nicht mehr. Immerhin, Widmer-Schlumpf wäre gut vorbereitet, ist sie doch stellvertretenden Departementschefin bei den Finanzen, und hatte sie die Dossiers auch während der krankheitsbedingten Abwesenheit des Chefs geführt. Doch wäre mit der Doppelverantwortung Widmer-Schlumpf doppelt gefordert, und das in einem Moment, indem sie für SVP und SP nicht mehr glaubwürdig ist.

Das Ganze wäre halb so schlimm, wären BundesrätInnen zwischenzeitlich nicht die wesentlichste Stütze der behördlichen Kommunikation vor Abstimmungen. Das Parlament ist längst nicht mehr in der Lage, Ueberzeugungsarbeit zu leisten, dafür agieren seit mehr als 10 Jahren fast lückenlos Bundes- und RegierungsrätInnen. Sie haben den Vorteil, dossierfest und genügend bekannt zu sein, um in der kurzen Zeit, die bei Abstimmungskämpfen normalerweise zur Verfügung steht, sinnvoll intervenieren und so die Entscheidungen in Regierung und Parlament zu begründen.

Und in diesem Fall ist das besonders wichtig: SVP, aber auch SP kündigen kraftvolle Kampagnen zugunsten ihrer Initiativen an – und damit gegen die Beschlüsse in National- und Ständerat. Sie betrachten sie auch als Vorlauf für die Kampagnen zu den Parlamentswahlen 2011, denn sie sollen beide Parteien in einem ihrer Kernthemen profilieren. Zudem sind beide mit dem Ergebnis der Bundesratswahlen teilweise unzufrieden, damit auch motiviert, ohne Rücksicht auf nichts für sich zu mobilisieren.

Es zeichnet sich eine problematische Kommunikation des Behördenstandpunktes in einer problematische Konstellation ab.

Claude Longchamp