Der Anti-Islam-Reflex wird zum europäischen Phänomen, mit dem Wahlen gewinnt und die Regierungsbildungen beeinflusst. Ein wirksames Rezept dagegen wird eigentlich nirgends sichtbar, sodass man sich die Frage stellen kann: Ist das eine momentane Welle oder entsteht hier eine neue Konfliktlinie im europäischen Parteiensystem?
Geert Wilders, führender Kopf der anti-islamischen Bewegung, die in ganz Europa rechtspopulistische Parteien erobert
Seit gut 20 Jahren ist der Rechtspopulismus in vielen europäischen Ländern mal schwächer, mal stärker, – aber eine feste Grösse. Das Neue ist, dass dabei nicht mehr einfach gegen die politische Klasse gewettert wird, auch nicht pauschal gegen AusländerInnen. Nein, neu ist, dass der Widerstand gegen den Islam zur mobilisierenden Kraft geworden ist.
Bis tief in die Mitte der Gesellschaft reicht die Angst, muslimische Zuwanderer könnten den Charakter europäischer Gesellschaften verändern. Selbst wenn die Anteile recht gering ist, Bilder, die eng mit dem Islam in Verbindung gebracht werden, wirken weit herum negativ: Steinigung von EhebrecherInnen stösst auf fast geschlossene Ablehnung, Burkas irrtieren weit herum, und Zwangsheiraten sind mit den Vorstellungen westlicher Liberalität mehrheitlich unvereinbar.
Wo Zukunftsängste angesichts global negativer Trend in Wirtschaft, Umwelt und Politik dominieren, grasiert die Verunsicherung, nicht mehr nur in den Unterschichten, vor allem auch in den Mittelschichten. Das ist der Nährboden für Stimmen zugunsten der neuen antiislamischen Populisten und ihrer Parteien. In der Schweiz, Ungarn und Italien sind sie Teil der Regierungsparteien geworden, in den Niederlanden, Belgien und Schweden hängen die Regierungsbildung von Verhalten der rechtspopulistischen ParlamentarierInnen ab, denn bürgerliche Koalitionen kommen ohne ungeliebte Angebote nach links oder Konzessionen an die Adresse der Rechtspopulisten auf keine tragfähigen Mehrheiten im Parlament.
Geert Wilders, der Niederländer, der so Einfluss auf die Regierung seines Landes nimmt, macht es vor, wie das neue politische Rezept funktioniert. Er setzt konsequent auf den Anti-Islam-Reflex, denn die neuen Islamophie bringt gegenwärtig mehr als die bekannte Xenophobie. Andere, wie die österreichische FPOe, setzen nach dem Vorbild der SVP auf Provokation im Internet oder Plakaten, um die Medienaufmerksamkeit im Wahlkampf für sich zu gewinnen und die öffentliche Debatte auf ihre Themen zu lenken. Genau das zwingt, bürgerliche wie sozialdemokratische Parteien, sich ihnen anzunehmen, in der Hoffnung nicht zu viel Terrain und WählerInnen zu verlieren. Kurzfristig ist das aber keine Erfolgsgarant, denn dort, wo die Probleme unterschätzt wurden, verstärkt dies das eingeleitete Rutschen der politischen Landschaft eher noch.
Bei den Europa-Wahlen 2009 machten die Rechtspopulisten in 10 Mitgliedstaaten mehr als 10 Prozent der Stimmen, in Grossbritannien sogar mehr als 20 Prozent. So wird aus dem anfänglich nationalen Phänomen ein internationales. Im Juli 2010 hat der weit gereiste Wilders seine Internationale Freiheits-Allianz gegründet, mit dem Ziel, den Islam zu stoppen und so die Freiheit zu sichern. Damit sollen die anti-islamischen Kräfte in ganz Europa, ja auch in den USA gebündelt werden. An diesem Wochenende tritt er in Berlin auf, um im Gefolge der Sarrazin-Debatte über die beklagte Selbstaufgabe Deutschlands für seine Sache zu werben. Ausflüsse der medialen Debatte hierzu sind bis in die Schweiz zu spüren. Ein Fingerzeig, was im Wahljahr 2010 auch hierzulande geschehen könnte, ist das allemal.
Darüber hinaus stellt sich die Frage: Entsteht gegenwärtig eine neue Konfliktlinie im Parteiensystem, welche von Dauer sein könnte? Analysen und Einschätzungen des jüngsten Phänomens in der europäischen Parteienlandschaft sind durchaus erwünscht!
Claude Longchamp
Es ist ja nur ein Satz, nur eine Aufzählung: “Zwangsheiraten sind mit den Vorstellungen westlicher Liberalität mehrheitlich unvereinbar”.
Nur mehrheitlich? Es gibt also liberal denkende Menschen, die für Zwangsheiraten sind? Eine Minderheit zwar, aber doch liberal?
Bei solchen Wischi-Waschi-Sätzen haken die extremen Parteien ein und bieten ihre absoluten Wahrheiten. Und die freidenkenden Menschen haben keine Argumente mehr, denn sie haben ihre Prinzipien bereits relativiert.
Zu lange wurde das Thema totgeschwiegen, die Ängste der Bevölkerung wurden ignoriert oder sogar als Lächerlich abgetan. In der Schweiz begann erst nach der Minarett-Initiative ein Umdenken. Umdenken? Nein, ein zartes Häuchlein des Verstädnisses für die Ängste und Befürchtungen des Volkes ist spürbar.
Blicken wir nur Richtung Deutschland. Was passierte mit Sarazzin? (Und dann noch ein Linker!) Am liebsten hätte man ihn mundtot gemacht, obwohl 90% der Bürger seine Meinung teilen.
Wird man von den Politikern nicht ernst genommen, so ist es nur mehr als logisch, dass man sich einer Partei zuwendet, die sich für ihre Anliegen einsetzt. Zu lange wurde den Bürgern Honig ums Maul gestrichen, nun ist halt der Bürger aus seiner Lethargie erwacht, will nicht mehr alles hinnehmen und wählt dementsprechend.
Auch ist das Thema Islamisierung zu einem eigentlichen Hauptthema geworden. In welches Land man auch blickt, jedes dieser Länder ortet Probleme mit den Muslimen. Und wenn es da Politiker gibt, die noch so gerne den Kopf in den Sand stecken, anstatt sich mit dem Thema auseinanderzusetzen….ja dann muss man sich nicht wundern, dass z.B. ein Wilders Zustrom erhält.
Nur auch Wilders kann nichts mehr ausrichten, notfalls noch stoppen, aber auch das wird ihm nicht gelingen. Es wurde einfach zu lange zugewartet und nun ist es zu spät.
Übrigens, warum sehe ich in der Austeilung “Rechtspopulist” jedesmal ein Schimpfwort? Wenn schon, dann dürfte es sicherlich auch sehr viele Linkspopulisten geben, nur verschont man die mit diesem Schimpfwort.
at tinu
auch wenn es “nur” eine aufzählung sei, es ist eine bewusste. und sie muss genauer gelesen werden.
werte, auch liberale sind ein teil der gesellschaft.
sie müssen nicht von jedem mensch diese gesellschaft geteilt werden.
das die vorrede.
nun ist das nicht einfach wischi-waschi-zügs.
seien wir doch ehrlich: unsere gesellschaft ist liberal. doch: gibt es keine zwangsheiraten? mit strategischen überlegungen der eltern, der freunde? zum vorteil, zur abwendung von not, oder mangels auswahl …
sorry, nur weil es eine liberale gesellschaft gibt, in der zwangsheiraten verpönt sind, heisst das doch noch lange nicht, dass es sie nicht gibt.
@cal Unter Zwangsheirat verstehe ich die Situation, wo die Brautleute sich kaum oder gar nicht kennen und einfach vor den Altar gesetzt werden. Wer das befürwortet ist für mich nicht Teil der liberalen Gesellschaft, gleich wo er oder sie aufgewachsen ist.
Wenn man aber jede Heirat, die unter Einfluss Dritter oder durch materielle Ueberlegungen zustande kommt, als Zwangsheirat bezeichnen will, dann gibt es nur noch Zwangsheiraten.
Und dann sind wir genau bei dem was ich zeigen wollte: Man sollte seine Grundsätze nicht relativieren, denn dann sind sie keine Grundsätze mehr.
Ich muss allerdings zugeben, dass ich selbst auch nicht im Detail weiss, welches die Grundsätze der liberalen Gesellschaft sind. Da muss ich auch noch nachforschen.
Einspruch: Es gibt offensichtlich auch Liebesheiraten, jenseits von materiellen Ueberlegung und Einflüssen Dritter.
Das verlogene an der bürgerlichen Anti-Ausländer- und Anti-Islam-Bewegung ist, dass genau diese Kreise am meisten von denen profitieren, indem sie diese in ihren Betrieben beschäftigen.