Roger de Weck: starke Demokratie vs. schwacher Rechtstaat (Bundesratswahlen 2008/15)

Die Reformdiskussion zur schweizerischen Demokratie geht weiter. Der führende Publizist Roger de Weck äussert sich in einem grossen “swissinfo”-Interview zu Stärken und Schwächen der politischen Kultur der Schweiz. Sein genereller Befund: “Wir haben in der Schweiz eine starke Demokratie, aber einen schwachen Rechtsstaat.”


Roger de Weck kritisiert den ungebrochenen Rechtspopulismus in der Schweiz

Ausgangspunkt der Analyse von Roger de Weck ist der Rechtspopulismus. Dieser funktioniere überall nach dem Grundmuster, nur ein starken Mann könne das Land vor dem Niedergang retten.

Diese Rolle nehme in der Schweiz seit Jahren Christoph Blocher ein; es sei davon auszugehen, dass das anhalten werde, etwa wenn Blocher Präsident der Zürcher SVP werde. Unabhängig davon finanziere Blocher politische Kampagnen mit schätzungsweise 10 bis 12 Millionen Schweizer Franken im Jahr. Diese würden durch boulevardisierte Medien verstärkt, die Konfliktdiskussionen solchen über Lösungen vorziehen und Emotionen über Sachfragen stellen würden.

Weil die Schweiz keine Nation ist, sei der Bezug zum Volk für den hiesigen Rechtspopulismus konstitutiv. Das zeige sich im rechten Selbstverständnis von direkten Demokratie. Initiativen aus diesem Lager seien teilweise menschenrechtswidrig; mit Kampagnen appeliere man an rassistische Gefühle.

Roger de Weck spricht aufgrund dieser Analyse einer Modernisierung der Insitutionen das Wort, die auf die folgenden Punkte ziele müsse:

. Gleichwertigkeit von Rechtsstaat und Demokratie
. Verbesserter Schutz der Grundrechte
. Neudefinition der Konkordanz als minimale Uebereinstimmung in solch generellen Fragen
. Verteilung von Regierungssitzen unter Parteien, die entsprechende Uebereinstimmung gefunden haben
. Transparenz in der Kampagnenfinanzierung, insbesondere vor Volksabstimmungen

Die Analyse und Folgerungen von de Weck stehen in einem gewissen Gegensatz zu den Reformvorschlägen, die Andreas Auer diese Woche mit der Volks- statt Parlamentswahl des Bundesrates lanciert hat. Nicht mehr unmittelbare Demokratie brauche die Schweiz, empfiehlt der führende Schweizer Publizist, sondern mehr Schutz der Grundrechte aller, auch der Nicht-SchweizerInnen. Entsprechend kritisiert de Weck, die schwache Ausprägung des rechtstaatlichen Denken bei stark vorhandenem Demokratie-Bewusstsein.

“Unsere Gründerväter haben bewusst nicht alles und jedes dem Volk überlassen. Wenn eine absolute Volksherrschaft, ein demokratischer Absolutismus herrschen würde, würden die Minderheiten überfahren. Unser politisches System wollte das verhindern. Die Populisten, die sich auf die schweizerischen Werte berufen, ignorieren diese wertvolle Schweizer Tradition.”

Claude Longchamp