Grosse Bundesräte der Schweiz

“Presidential ratings” gehört in den USA zum medialen Geschäft der Historiker. Urs Altermatt macht damit in der Schweiz den Anfang.

SCHWEIZ BUNDESRAT REISE
Kurt Furgler, das Alphatier im Bundesrat, ist wohl heimlicher Favorit von Urs Altermatt unter den grossen (verstorbenen) Bundesräten (des 20. Jahrhunderts).

Zeitgeschichtler Urs Altermatt ist allen als “Bundesrats-Historiker” bekannt. Keiner hat sich in der Schweiz so ausführlich, vertieft und wirksam mit den Mitgliedern der Schweizer Bundesregierung beschäftigt. Auch ist er einzigartig in der Verbindung von Geschichte als Kulturwissenschaft und Politik als Sozialwissenschaft – eine Verknüpfung die Altermatt bei seinem Mentor Karl W. Deutsch in den USA gelernt hat.

Nun folgt der emeritierte Freiburger Professor einem weiteren amerikanischen Trend. Denn unter den Geschichtsprofessoren der USA ist es zu einem beachtliches Geschäft geworden, “presidential rankings” zu erstellen, um die Grossen unter den Grosse der Vereinigten Staaten von Amerika zu ermitteln und publizistisch in Erinnerung zu halten. Zwischenzeitlich sind ausgefeilte Methoden der Beurteilung entwickelt worden, und eine Vielzahl von HistorikerInnen ringt darum, die richtige Reihenfolge zu ermitteln.

Auf diesem Pfad, wenn auch ganz am Anfang des Wegs, animierte newsnetz Altermatt, über the big six unter den Schweizer Bundesräten zu rätseln. Unter zwei Einschränkungen akzeptierte Altermatt die Herausforderung: Zeitlich ging man nur bis zum Ende des 1. Weltkrieges zurück, weil sich niemand mehr an die älteren Bundesrät erinnern könne. Und die noch lebenden wurden allesamt ausgenommen, um das Geschäft der Historiker zu wagen. Das hat natürliche Konsequenzen: Frauen scheiden aus, und die Parteien der Zauberformel haben alle eine Chance.

Herausgekommen ist die nachstehende Liste, die nicht als wirkliches Ranking verstanden werden soll, sondern in der Reihenfolge des Amtsantritts aufgebaut ist:

Rudolf Minger (1881-1955),

Bundesrat der BGB (heute SVP) von 1930-40, gewürdigt für seine Verdienste im Aufbau der Armee vor dem zweiten Weltkrieg,

Philipp Etter (1891-1977),

Bundesrat der KK (heute CVP) von 1934-59, weil er sich für die geistige Landesverteidigung verdient gemacht hatte,

Max Petitpierre (1899-1994),
Bundesrat der FDP von 1944-61, wegen des Aufbruchs aus der Isolation zu Beginn der Nachkriegszeit, der von ihm geprägt wurde,

Friedrich Traugott Wahlen (1899-1985),
Bundesrat der BGB (heute SVP) von 1959-65, der die Anbauschlacht im Zweiten Weltkrieg leitete,


Hans-Peter Tschudi (1913-2002),

Bundesrat der SP von 1971-1973, der, geschockt von den Sputnik-Erfolgen der sowjetischen Raumfahrt, das Sozial- und Bildungswesen ausbaute.

Kurt Furgler (1924-2008),
Bundesrat der CVP von 1971-86, dem Alphatier aus der Ostschweiz, der den Reformprozess für die neue Bundesverfassung einleitete, und

An Kriterien, die den Historiker bei seiner Wahl leiteten, nennt Altermatt die Länge der Amtszeit, während der sich ein Bundesrat halten konnte, den sachlichen Leistungsausweis und die Popularität, die er erlangte. Nur bei Wahlen machte er eine Ausnahme, der der war nur kurz Bundesrat, aber schon vorher eine Legende.

Ein wenig erinnert mich das an meine erste Lehrveranstaltung an der Uni Bern, in der es um Bundesräte in der Geschichte ging. Eröffnet wurde die Veranstaltung mit einem Witz von und über Ruedi Minger. Gelacht haben wir gerne; ob der deshalb ein gutes Regierungsmitglied war, weiss ich bis heute nicht.

Claude Longchamp