Werden, wie bisher, zwei ZürcherInnen im Bundesrat sitzen? Werden es, neu, zwei BernerInnen sein? Oder werden, was Weltrekord wäre, gar fünf Frauen in der siebenköpfigen Bundesregierung das Sagen haben? – Das sind die Kriterien vieler Alltagsdiskussionen, wenn man die Chancen der vier FavortInnen unter den BundesratskandidatInnen auslotet. Doch, so frage ich, welche Rolle spielen Netzwerke bei einer PolitikerInnen-Wahl?
Ich bin ein Befürworter vom Transparenz im Beziehungsgeflecht unserer PolitikerInnen. Nichts ist meiner Meinung nach anrüchig, wenn man in einem Verwaltungsrat sitzt, einer Interessengruppe angehört oder eine Stiftung präsidiert. Doch sind das alles Gruppen, die von politischen Entscheidungen betroffen sind, auf sie Einfluss nehmen, weil sie Gewinner oder Verliererinnen sein können. Deshalb gehört die Verbindung der PolitikerInnen in diese Akteure offen gelegt.
Der Beobachter hat sich in verdienstvoller Weise die Netzwerke der BundesratskandidatInnen von SP und FDP ausgelotet. Basis bildete das “Register über die Interessenbindungen” der Bundesversammlung. Kontrolliert wurde es durch das “Zentrale Firmenregister”, dem offiziellen Handelsregister.
Zunächst fällt auf, dass RegierungsrätInnen wie Karin Keller-Sutter keine direkten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verbindungen (mehr) haben. Sie haben nur öffentliche Mandate, die mit den anderen Regierungsmitglieder abgesprochen sind. Bei der St. Galler Justizdirektorin sind das etwa der Regionalvorstand der SRG, aber auch die Stiftung für internationale Studien an der HSG.
Ganz anders ist das Profil der Interessenbindungen von eidgenössischen ParlamentarierInnen. Das markiert denn auch einen wesentlichen Unterschied der nominierten FDP-Frau zum FDP-Mann. Johannes Schneider-Ammann ist zu allerst Unternehmer an der Spitze der Ammann-Gruppe in Langenthal. Darüber hinaus sitzt er auch in wichtigen Verwaltungsräten, wie jenem der Swatch Group. Er ist in zahlreichen Wirtschaftsverbänden auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene Prädisent oder im Vorstand. Zudem wirkt er in einigen wirtschafts- oder gesellschaftsnahen Stiftungen mit, die Streikversicherungen unterhalten oder den Orientierungslauf fördern mit.
In der Struktur ähnlich, der Ausrichtung aber gegensätzlich sind, erwartungsgemäss, die Interessenbindungen der SP-KandidatInnen. Jacqueline Fehr präsidiert soziale Institutionen wie die AG für Suchtpolitik, die Stiftung Kinderschutz, und sie ist in führender Stellung bei der Pro Familia, der Pflegekinderaktion und der Beratungsstelle gegen sexuelle Gewalt. Das ist bei der Berner Ständerätin Simonetta Sommaruga ähnlich, wenn auch etwas offener in der Ausrichtung. Bekannt geworden ist sie als Konsumentenschützerin, deren wichtigste Stiftung sie heute noch präsidiert. Darüber hinaus ist sie im Stiftungsrat von Slow Food, Swissaid und dem Berner Bärenpark. Wirtschaftlicher ausgerichtet sind ihre Mitgliedschaften in der Energieallianz und im Verwaltungsrat einer AG.
Wer gewählt wird, wird aus diesen Aemtern ausscheiden, die persönlichen Verbindungen aber mitnehmen. Wer nun glaubt, dass die PolitikerInnen nur noch Hampelmänner- und frauen im Spinnennetz der Lobbies seien und diese die Macht bei Wahlen ausüben, dürfte Netzwerke überschätzen. Diese sind in Themenfragen zweifelsohne von Belang; doch unterliegen sie gerade auch da der medialen Kontrolle. Bei Wahlen sind sie ein Elemente, das meinungsbildend wirkt, wohl aber nicht letztentscheidend ist. Das zeigt sich unter anderem auch daran, dass Ruedi Noser schon bei der Nomination in der FDP-Fraktion scheiterte, obwohl er von allen im “Beobachter” Beobachteten das ausgebauteste Netzwerk hat und dieses auch am professionellsten unterhält.
Denn Politik ist und bleibt bestimmt durch Oeffentlichkeit und den Leistungen bei Entscheidungen, die man darin anerkannter Massen erbringt resp. erbracht hat. Netzwerke sind dabei nach meiner Erfahrung gelegentlich eine hilfreiche, manchmal auch hinderliche Grösse. Deshalb sollte man sie weder unter- noch überschätzen.
Claude Longchamp
Ich hoffe, dass sich die Volksvertreter im Parlament ihrer politischen Verantwortung bewusst sind und für einmal ihre machtpolitischen Spielereien aussen vor lassen. Es gilt die arithmetische Konkordanz zu stärken um so für politische Stabilität im Land zu sorgen. Folglich ist eine der beiden SP-Kandidatinnen (Sommaruga oder Fehr) zu wählen. Denn die SP hat klar einen legitimen Anspruch auf einen 2. Bundesratssitz.
Die Grünen sind hingegen mit ihrem einzigen Wahlthema (Klimawandel) keine bedeutende politische Kraft und sollten daher ihren Kandidaten Müller wieder zurückziehen. Seine Kandidatur hat ohnehin kaum Chancen auf Erfolg.
Bei der FDP sieht schon anders aus. Da geht es um die Frage ob sie ihren zweiten Sitz wird halten können. Eigentlich wäre jetzt, nach der arithmetischen Konkordanz erstmal die SVP an der Reihe.
Vorab soviel, die Grünen haben sich entschieden, nicht mit Geri Mueller zu kandidieren, dafür mit Brigit Wyss.
Ich denke, nominieren darf jede Partei/Fraktion. Ob sie damit Berücksichtigung findet, ist eine andere Sache.
Tatsächlich ist die arithmetische Konkordanz eine der am wenigsten umstrittenen Basen für die Machtverteilung im Bundesrat. Sie ist aber kaum die einzige Regel, denn in einer gemeinsamen, parteiübergreifenden Regierung, die nicht nur auf 50,0 Prozent Mehrheiten schielt, geht es auch um Uebereinstimmung in Zielen, zentralen Programmpunkten, und um Resepkt vor Institutionen.
Die SVP hat numerisch Anspruch auf zwei von sieben Sitzen, ohne jeden Zweifel. Die Frage ist aber, ob das zu Lasten von SP oder FDP geht.
Ich habe mich dazu in einem früheren Post ausführlich geäussert, und kommt zu einem anderen Schluss.
http://www.zoonpoliticon.ch/blog/10306/nachdenke-uber-strategische-entscheidungen-bei-den-bundesratswahlen/
Sowohl in der Konkordanz der Grossen, als auch in Allianzen Mitte/Rechts resp. Mitte/Links hat die FDP mit guten Argumenten auf zwei Sitze Anspruch. In allen drei Fällen ist aber der eine Sitze der BDP nicht, oder nicht zwingend legitimiert.
Sinn macht die Vertretung der BDP nur bei einer reinen arithmetischen Konkordanz, aber erst nach den Grünen. Ich ziehe dafür die Kennzeichnung “Allparteienregierung” – und finde das einen schlechten Ansatz, weil er die Repräsentation gegenüber der Ausrichtung zu stark betont.
Das ist meines Erachtens Aufgabe des Nationalrats, nicht des Bundesrats.
Die BDP macht aufgrund meiner Ueberlegungen dann keinen Sinn mehr, wenn die SVP entscheidet, von der Oppositionspartei, die sie 2008 aufgrund einer eigenen Entscheidung wurde, wieder zur Regierungspartei zu werden. Auf diesem Weg stufe ich die Partei so in der Mitte ein. Nach eigenen Angaben ist sie sowohl Regierungs- wie Oppositionspartei.
Aktuell kommt das u.a. darin zum Ausdruck, dass man, notabene wie bei den oppositionellen Grünen, nur eine Person für den Bundesrat nominiert. Das mag verschiedenen Gründe haben: schmale Personaldecke oder auch Opportunismus der Favoriten. Es ist aber ein unübersehbares Signal: Der (oder die) und kein(e) andere(r). Damit optimiert man, wiederum, die Anbindung von potenziellen BundesrätInnen an die Partei, und verringert den Spielraum aller anderen Regierungsparteien, die beste Lösung für das Regierungsteam zu finden.
Schliesslich bleibt der Haupteinwand gegen die rein arithmetische Konkordanz: Sie kann nicht sagen, wer Anspruch auf Regierungsfähigkeit überhaupt hat. Das ist nicht nur eine Aufgabe von Taschenrechnern, sondern der Politik.
[…] nicht überschätzen. Zoon politicon plädiert dafür, die Netzwerke von Politikerinnen und Politiker weder zu unter- noch zu zu […]