Es war ein interessanter Meinungsaustausch mit Christoph Darbelley, dem CVP-Präsidenten, gestern, kurz vor der Entscheidung über eine CVP-Kandidatur bei den anstehenden Bundesratswahlen. Und es hat mich zum Nachdenken über generelle Strategien angeregt.
Den Entscheid von CVP-Partei- und Fraktionsspitze kennt man seit gestern Abend. Bei den kommenden Bundesratswahlen tritt man nicht mit einer eigenen Kandidatur an. Ständerat Frick hatte in dieser Sache Druck gemacht, Fraktionspräsident Schwaller und Parteipräsident Darbelley waren von Anfang an zurückhaltend. Drei Gründe schimmerten gestern für den Verzicht durch:
. Eine über die Parteigrenzen hinaus unbestrittene Bewerbung aus den CVP-Reihen gibt es gegenwärtig nicht. Der eine oder andere Name ist zwar im Gespräch, wohl aber erst für die Zeit nach den nächsten Parlamentswahlen.
. Seit der Nichtwahl von Urs Schwaller vor einem Jahr orientiert sich die CVP vermehrt an der politischen Mitte. Selbst wenn die Allianz der Mitte eher thematisch ausgerichtet ist, bleibt, dass man die wahrscheinlichsten Partner in zentralen personalpolitischen Entscheidungen nicht ohne Not brüskieren darf.
. Interessant fand ich vor allem das dritte Argument: Ohne Gewinne bei den nächsten Parlamentswahlen werden Ansprüche nicht durchsetzbar sein. 2 Prozente WählerInnen-Anteil mehr für die CVP sind nötig, bei gleichzeitigen Verlusten für die fusionierten FDP/Liberalen.
Letzteres deutet darauf hin, dass sich die CVP vermehrt damit auseinander setzt, die Sitzverteilung im Bundesrat nicht unabhängig ist von Entwicklungen in der Wählerschaft zu sehen. Das tönte bis vor Kurzem noch anders. Klarer als auch schon kam zum Ausdruck, dass man damit aber noch nicht beantwortet hat, wie die Bundesregierung ausgerichtet sein sollte.
Aus meiner Sicht können vier Varianten strategisch begründet werden, die man für die nahe Zukunft vor Augen haben kann.
1. Weiter wie bisher: Konkordanz wird partei- und personenpolitisch beurteilt. Das zwar nur als Uebergang so, aber ohne zeitliche Limitierung. Die jetzige Zusammensetzung fällt erst, wenn Eveline Widmer-Schlumpf zurücktritt, allenfalls wenn sie abgewählt wird. Von Strategie kann man hier am wenigsten sprechen.
2. Rückkehr zur Konkordanz der Grossen: Regierungstauglich ist strikte nur, wenn eine minimale elektorale und parlamentarische Stärke hat. Die Verteilung richtet sich aufgrund der Grössen. Konkret heisst das aus gegenwärtiger Sicht: 2 SVP, 2 SP, 2 FDP, 1 CVP. Faktisch wäre das die Rückkehr zur Zauberformel.
3. Mitte/Links-Allianz: Uebergang zu einem Regierungs- und einem Oppsitionslager, erhöhte Konkordanz nur im Regierungslager, arithmetische Verteilung, in diesem Fall : 2 SP, 2 FDP, 2 CVP, 1 Grüne. Strategisch wäre das eine Neuausrichtung, müsste deshalb auch mit der Regierungsreform verbunden werden.
4. Mitte/Rechts-Allianz: Ebene Unterscheidung zwischen Regierungs- und Oppositionslager, erhöhte Konkordanz ebenso nur im Regierungslager, arithmetische Verteilung, wobei ja nach Entwicklung zwei denkbar sind: 3 SVP, 2 FDP, 2 CVP oder je 2 SVP; FDP, CVP und 1 BDP. Strategisch wäre auch das eine Neuausrichtung. Auch dass wäre wohl ohne Regierungsreform nicht möglich.
Die erste Variante spricht dafür, die beiden freien Sitze mit den gleichen Parteien zu besetzen. Denn ihre Neubesetzung betrifft keine zentrale Frage. In der zweiten Variante macht es keinen Sinn, einen der beiden Sitze durch eine andere Partei zu besetzen. Der BDP-Sitz muss an die SVP zurück. Gemäss der dritten Variante bleiben die beiden freien Sitze auch bei den bisherigen Parteien. Die CVP bekommt jedoch den BDP-Sitz, und die Grünen beerben die SVP. Nur in der vierten Variante macht eine Parteiwechsel jetzt Sinn. Dabei würde der SP-Sitz an die SVP gehen. Der FDP-Sitz würde bleiben. Allenfalls, allenfalls auch der BDP-Sitz. Bei der nächsten Möglichkeit ginge der zweite SP-Sitz an die SVP.
Gar keine Begründung gibt es, jetzt die Grünen zu Lasten der FDP zu stärken. Das wäre nur unter einer Allparteienregierung ohne Ausrichtung sinnvoll. Und das wäre ein Parlament in der Regierung, vielleicht 2 SVP und je 1 Person der SP, FDP, CVP, der Grünen und der BDP. Das macht am wenigsten Sinn von allem.
Claude Longchamp
Die mathematische Konkordanz könnte ja mal durch einen Proporz ersetzt werden, dann wäre mal Ruhe mit diesem Theater.
Die mathematische Konkordanz heisst je 1 Sitz für FDP und CVP und für die Grünen.
Die SVP hat den Sitz selbst verscherzt, hier kommt die Regel dazu, dass amtierende nicht abgewählt werden (was Toni Brunner in der Arena gesagt hat …!)
Dass der FDP-Neugewählte dann 2011 abtreten wird, wenn die FDP weniger Stimmen hat als die CVP, ist ja ein Scherz zeigt lediglich auf, dass man ebensogut ein Jahr mit 6 BR leben könnte.
Und falls EWS zu Gunsten einem SVP-ler abgewählt wird, wäre wohl ein Blödsinn, denn EWS hat ihr Können bewiesen, Maurer geht ja lediglich als Lamentierer durch.
Warum die Allparteienregierung keinen Sinn macht, sehe ich nicht ein. Tatsache ist, dass Bundesräte nicht parteiabhängig sein sollten, und erfahrungsgemäss auch kaum sind.
Bundesräte sollen Macher sein. Und sollten das machen, was Parlament und Volk will.
Sicher ist der Gedanke richtig, wenn man einzig auf die Arithmetik abstellt, dass man sie auch formalisiert.
Die Anstrengungen dazu gibt es, gerade auch unter den Politologen (z.b. Daniel Bochsler, Andreas Ladner), doch hat sich bis jetzt kein Modell politisch realisieren lassen.
Bei der Allparteienregierung sind die meisten Oekonomen und Politologen skeptisch, mit guten Grund, wie ich meine.
Die Idee hierbei ist hier noch gar nicht erörtert werden: es geht um die Vetoplayer. Je breiter und je offener eine Regierung angelegt ist, umso grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Vetogruppen nicht nur im Parlament sind (wo sie hingehören), sondern auch in der Regierung.
In jeder Regierung hat es Vetogruppen, meist die, die zur Mehrheit gehören.
In Allparteienregierung hat es potenziell alle Vetogruppen, was die Entscheidfindung erhöht.
Das ist in der Schweiz mit dem Drang zum Konsens nocht höher, und mit den Referenden können sich die Vetogruppen (AUNS, Gewerkschaften, VCS) zusätzlich Gehör verschaffen.
Insgsamt nennt man das schliesslich Blockierung der Politik. Wenn nichts mehr geht, müssen Regierungen normalerweise zurücktreten, und auch das kennen wir in der Schweiz nicht.