Das Mittel missbraucht!

Wie selten bin ich irritiert über die gestern veröffentlichte und heute wieder zurückgezogene Volksinitiative zur Wiedereinführung der Todesstrafe in der Schweiz.

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Eines will ich gleich klar stellen: Die bisherige Diskussion über die Einschränkung des Geltungsbereiches von Volksinitiativen verfolge ich mit Skepsis. Zwar wäre es besser, problematische Initiativen zu verbieten, bevor man die Unterschriftensammlung hierzu zulässt. Denn die jetzige Regelung entbehrt nicht der Schlitzorhigkeit. Man lässt Komitees sammeln, in der Hoffnung, sie schaffen es nicht, die nötigen Unterschriften beizubringen, oder der Souverän zeige schon Vernunft und verwerfe das Begehren in der Volksabstimmung. Klar besser als dieses unwürdige Taktieren wäre es, eine vorgängige Prüfung an klare Kriterien für die Zulassung von Volksinitiative zu knüpfen, die juristisch gefasst, allenfalls auch so einklagbar wären, als dass sie versteckter politischer Natur sein. Denn es bleibt der Verdacht, dass mit der Verbotsdiskussion auch politische Absichten verbunden sind. Doch damit erreicht man gar nichts – ausser dass ein Stellvertreterkonflikt herbeigezüchtet wird. Die Minarettsabstimmung lässt grüssen.

Mit dieser absolut nötigen Vorbemerkung ist meines Erachtens alles gesagt, was für das Projekt “Todesstrafe per Volksinitiative” vorgebracht werden kann. Denn in der Sache muss Rachejustiz in einem zivilisierten Staat an sich untersagt bleiben. Und genau um den damit unterdrückten Impuls in uns geht es mit der Verhinderung von Todesstrafen. Einmal ausgelöst, lässt er sich nämlich kaum mehr bremsen.

Die Abschaffung der Todesstrafe gehört zudem zu den eigentlichen Leistungen des Bundesstaates. Schlimm genug, dass man in Phasen der wirtschaftlichen Krise im 19. Jahrhundert von diesem Grundsatz wieder abwich. Denn der Kontext erhellt die Absicht: Wo wirtschaftliche Schwierigkeiten gesellschaftliche Spannungen erzeugen und Blitzableiter zugelassen werden, scheut man die Auseinandersetzung über die Ursachen von Problemen und der Behebung. Genauso wenig gerechtfertigt ist es, angesichts militärischer Bedrohungen, Konformität mit dem Staat ohne Ueberzeugungsarbeit herstellen zu wollen, dafür auf die abschreckende Wirkung, welche Todesstrafen auf labile Typen haben, zu setzen.

Ganz schlimm finde ich, dass die Provokationskultur in der gegenwärtigen Oeffentlichkeit so weit gediehen ist, dass man auch vor dem Abbau von Menschenrechten nicht mehr halt macht und dass dafür auch bedenkenlos Volksrechte missbraucht werden. Anders kann ich das jüngste Volksinitiativen-Projekt in der Schweiz nicht verstehen. Denn das Mittel der Provokation kann in der Werbung eingesetzt werden, es funktioniert auch in dem auf Aufmerksamkeit getrimmten, politischen Ereignismanagement bestens. Denn ein Teil der Medien lässt sich immer dafür bezahlen oder findet den Dreh, das Thema in die redaktionellen Spalten aufzunehmen, um sich selber an der so erzeugten öffentlichen Sichtbarkeit zu erfreuen.

Wenn dafür das institutionelle Verfahren der demokratisch legitimierten Aenderung unserer Verfassung missbraucht wird, ist der Rubicon meines Erachtens definitiv überschritten worden. Begründungen, man habe auf ein verkanntes Problem aufmerksam machen wollen und keinen anderen Weg gefunden, kann ich schlicht nicht glauben. Nicht auszumalen, wie die Kommentare gelautet hätten, wenn wir in Europa wie einzig Weissrussland die Todesstrafe gehabt hätten. Schlimmer noch, wenn wir das per Volksrecht begründete hätten. Die weltweiten GegnerInnen der direkten Demokratie hätten sich in ihrem gängigsten Argument gegen Volksinitiativen bestätigt gefühlt. Anders als das Parlament ist der Mob nicht kontrollierbar und muss deshalb ruhig gehalten werden, skandieren sie mit Vorliebe.

Deshalb schüttelte es mich heute, als ich las: “Das Ziel erreicht”, wie ein bekannter Kommunikationsexperte die Uebung, die uns in den letzten Tages beschäftigte, bewertete. Das kann ich nur noch übles Schein-Werfertum heissen. “Das Mittel missbraucht”, kontere ich deshalb. Denn ausser mit einer Portion überschüssigen Zynismus kann man Phantom-Initiative nicht gutheissen.

Mich beschäftigt, dass in Stuttgart zwischenzeitlich fast täglich gegen das S21-Projekte demonstriert werden muss, weil es an legitimierten Verfahren fehlt, um Fehlentscheidung der Stadtplanungspolitik korrigieren zu können, die aus der systematischen Geringschätzung der Bevölkerungsmeinungen entstehen. Denn wo diese mehr als Einzelne betrifft, wird das zu jener politischen Kraft, die steuernd Einfluss auf Entscheidungen haben sollen.

Wir, die das zu unserem grossen Vorteiler kämpft haben, sind uns des Privilegs gar nicht mehr bewusst. Wir beurteilen die Nutzung nicht mehr nach dem damit verbundenen Sinn, sondern nur noch nach der erreichten Plattform.

Das darf sich eigentlich nicht wiederholen! Jetzt sind die JuristInnen gefordert, klare Grenzen des Erlaubten und Sanktionen gegen Unerlaubtes zu formulieren.

Claude Longchamp