In der aktuellen Weltwoche analysiert der emeritierte Fribourger Oekonom Henner Kleinewefers den Zerfall der Konkordanz und stellt hierzu eine gewagte Ursachenbehauptung in den Raum: Konkordanz sei politisch nicht neutral, sie benachteilige die Rechte, sprich die SVP, an sich. (M)ein Einspruch.
Konkordanz ist kein “Parlament in der Regierung”, sondern ein Wille, gemeinsam politische Verantwortung zu tragen
Henner Kleinerwefers ökonomische Systemanalyse
Kleinewefers beginnt mit einer treffenden Begriffskritik: Regierungen, die nach rein numerischen Kriterien zusammengesetzt werden, tendieren zu Allparteienregierungen. Von solchen können man keine effiziente Politik erwarten. “Bravo!”, sag ich da.
Verbesserungen erwartet der Oekonom durch eine Verringerung von Spannungen, wenn Zahl und Ausrichtung der Parteien reduziert werden. Machbar seien entweder Mitte/Rechts-Regierungen mit SVP, FDP und CVP oder Mitte/Links-Regierungen mit SP, Grünen, CVP und FDP. Zu erwarten seien zwar Wählerabwanderungen zur jeweiligen Opposition, und mit Splitterparteien im eigenen Lager müsse man ebenfalls rechnen. Doch seien die Koalitionen heute stark genug, um das Experiment über Jahre hinweg zu überstehen. “Korrekt” ist da mein Kommentar.
Doch dann werden die Ableitungen aus der Politökonomie tendenziös. Warum nur, fragt sich Kleinewefers, hielten mit den Mitte-Parteien gerade jene an der Konkordanz fest, welche die eigentlichen Verliererinnen seien? Erklären könne man sich das nur mit der Angst, in einer Koalition noch mehr zu verlieren und unerheblich zu werden. Deshalb seien FDP und CVP konfliktscheu, was der SP nütze. Bald werde die Linke drei der sieben Sitze im Bundesrat beanspruchen, um ihren Einfluss zu mehren, ohne die Verantwortung übernehmen zu müssen.
Und jetzt kommt’s: Eine vergleichbare Positionierung sei der SVP an sich nicht möglich, weshalb sie sich zurecht als Verliererin der Konkordanz sehe und nur warten können, bis die unheilige “Allianz der Profiteure” an ihrer eigenen Schwäche untergehe.
Christian Bolligers Analyse des Parteienverhaltens
Der Berner Politikwissenschafter Christian Bolliger hat mit seiner Konkordanzanalyse eine klar andere Perspektive entwickelt und eine sinnvolle Unterscheidung vorgeschlagen: In Konkordanzregierungen bemisst sich der Erfolg von Parteien sowohl am Verhalten gegenüber der Wählerschaft wie auch dem gegenüber der anderen Parteien. Denn beides ist nicht gesichert, muss aber gleichzeitig in eine Balance gebracht werden.
Diese Analyse der Mitte deckt sich in ihrem Aussagen mit denen von Kleinewefers. Die Zentrumsposition hat Vorteile in Verhandlungen mit links und rechts, aber Nachteile in der Erneurung der Wählerschaft. Anders fällt das Urteil bei der “Linken” aus, denn sie zerfällt in zwei ungleiche Parteien: die SP als dauerhaft Regierungsbeteiligte teilt das Schicksal der Zentrumsparteien, hat aber komplementäre Probleme wie die Grünen, denn diese Wachen in der Opposition, ringen aber um ihre Regierungsbeteiligung.
Seit den Wahlerfolgen der SVP ist die Ausgangslage rechts anders. Wenn sie diese nur mit Distanz zu den Regierungspartnern hochhalten kann, erschwert sie ihre eigene Integration. Sollte sich die BDP etablieren, könnte das die Herausforderung der SVP erschweren.
Mein Schluss
Anders als bei Kleinewefers ist die Konkordanz bei Bolliger parteipolitisch neutral, wenigstens was die Polparteien einerseits, die Zentrumsparteien anderseits betrifft. Differenzen in ihrem Erfolg ergeben sich nicht aus der Position, sondern aus dem eigenen Verhalten, das Identitätsbildung mit der Wählerschaft und Kooperation mit den Regierungsparteien erfordert.
Anders als es Kleinewefers unterstellt, ist Konkordanz keine Allianz der Profiteure, die sich zwangsläufig gegen die SVP wendet. Vielmehr ist sie eine genuine Regierungsweise, die in plurikulturellen Gesellschaften mit ausgeprägtem Föderalismus und ausgebauten Volksrechten Sinn macht. Gewählt werden jene KandidatInnen und Parteien, die Unterstützung von mindestens zwei anderen grösseren Parteien haben.
Gleich wie Kleinewefers empfinde ich einige der jetzigen Diskussionen auch als Abweichungen von der Konkordanz – hüben wie drüben. Denn Konkordanz wird nicht durch ein Parlament in der Regierung gelebt, sondern entsteht aus dem Willen, gemeinsam Verantwortung tragen zu wollen. Das erträgt Abweichung von Fall zu Fall, aber keine Polarisierungen gegen Institutionen und Regierungsmehrheiten.
Ein geeignetes Regierungssystem und ein entsprechendes Parteienverhalten sind Voraussetzungen dafür.
>Regierungen, die nach rein numerischen Kriterien zusammengesetzt werden, tendieren zu Allparteienregierungen. Von solchen können man keine effiziente Politik erwarten. “Bravo!”, sag ich da.
Da bin ich ganz anderer Meinung, weil in Kleinewefers Theorie die Unzulänglichkeit des Menschen an sich nicht berücksichtigt wird.
Z.B. ist Deutschlands Regierung zwar wesentlich effizienter, das Resultat über einen Regierungswechsel hinaus sieht schlechter aus, weil die verschiedenen Regierungen einiges wieder rückgängig machen, was die Vorgänger in die Wege geleitet haben.
Es sollte eigentlich nicht die Frage des Regierungssystems im Vordergrund sein, sondern warum:
– ist die SVP nicht stärker in den Regierungen vertreten, obwohl sie den Wähleranteil dazu hätte
– warum finden sich die Parteien nicht zu Lösungen, obwohl Gemeinsamkeiten vorhanden sind, sondern bekämpfen sich eher (ist die Idee nicht von mir, ist sie schlecht ..)
Der Artikel von Kleinewefers hat mir, über die bekannten Unterschiede zwischen Koalition und Konkordanz hinaus, die Differenzierung zwischen Konkordanz und Allparteienregierung klar gemacht: Diese bezieht sich nur noch auf das Grössenkriterium, und verteilt Regierungssitzung wie in einem Parlament. Jene übersieht das zwar nicht, sucht aber nach gemeinsamem Willen und inhaltlichen Uebereinstimmungen, auf denen man über längere Zeit miteinander regieren kann.
Das halte ich, wenigstens für die Schweiz, immer noch für die angemessenste Form der Regierungsweise.
[…] Zoon politicon widerspricht der vom emeritierten Fribourger Oekonom Henner Kleinewefers in der Weltwoche aufgestellten These, wonach die Konkordanz politisch nicht neutral sei, sondern die Rechte benachteilige. Tags: Demokratie, Islam, Medien […]
Nur funktioniert das ja nicht, wie wir laufend sehen.
Wenn der Bundesrat führt, fühlt sich das Parlament übergangen. Wenn das Parlament Sparvorlagen verabschiedet und der BR hält sich daran, will das Parlament sicher umverteilen. Und wenn die Schuldenbremse greift, will sicher derjenige BR, dessen Partei immer Steuern sparen will (fragt sich für wen), noch ein paar Mia. als Flugballast anschnallen.
Mit anderen Worten: die inhaltlichen Uebereinstimmungen, auf denen man über längere Zeit miteinander regieren kann, müssten vor der Wahl getroffen und danach auch durchgesetzt werden.
Vor der Wahl geht es jedoch lediglich um Sitzverteilung und primitive Ränkespiele, die von den meisten Parlamentariern selbst bnicht durchschaut werden.