Konkordanzen verschiedenster Art

Konkordanz ist in aller Parteien Mund, alleine jede versteht etwas anderes darunter. Ein Ordnungsversuch.

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Nach den letzten Bundesratswahlen war man sich einig: Ein Sieg der Konkordanz, sei das gewesen. Jetzt diskutiert man wieder darüber, wenn auch in alle Richtungen!


Eine Frage der Zahlen …

Die arithmetische Konkordanz für die Bestimmung der Bundesratszusammensetzung ist am klarsten definiert. Sie stellt auf Parteistärken ab. Mehr oder weniger unbeeinflusst kann diese, nach jeder Wahl, anhand der Parteistärken im Nationalrat oder der Sitzzahlen in beiden Parlamentskammern bestimmt werden. Im Einzelfall ergeben sich daraus unterschiedliche Schlüsse, was der Sache etwas von ihrer Präzision nimmt. Aktuell berufen sich fast alle Parteien darauf, am klarsten die SP. FDP und CVP betrachten das Kriterium ebenfalls als Referenz, greifen aber aus Eigennutz auf verschiedene Indikatoren zurück: die FDP stellt strikte auf die Wählerstärken ab, die CVP auf die Fraktionsmitglieder. Die SVP wiederum, welche die rein arithmetische Bestimmung der Bundesratsformel aus ebenso nachvollziehbaren Gründen favorisierte, bezieht sich darauf, wenn sie ihren Anspruch auf zwei Sitze legtimieren will, nicht aber, wenn sie dafür die Ansprüche anderer Parteien in Frage stellt. Selbstredend ist schliesslich auch, dass die Grüne mit dieser Definition liebäugeln, während die BDP davon nichts wissen will.

… der Uebereinstimmung …

Das Gegenstück ist die inhaltliche Konkordanz. Dabei geht es um sachpolitische Uebereinstimmungen. Die Allianz der Mitte, die sich diesen Sommer zu bilden begann, stützt sich auf diesen Gedanken. Die Zusammenarbeit in der Regierung soll sich auf Uebereinstimmungen in wesentlichen Dossiers stützen. Wer das vermehren will, ist regierungsfähig, wer dem indessen wiederspricht, erfüllt das Kriterium nur beschränkt. Die Schwäche dieser Definition ist, nur bedingt operabel zu sein. Denn was wesentlich ist, umschreiben die verschiedenen Protagonisten meist unterschiedlich. Es ist auch eine Definition, die dem Zentrum eher nützt, den Polen eher schadet. Zudem lehnt sie sich stark an parlamentarische System an, die auf Koalitionsbildung ausgerichtet sind. Der Funktionsweise direkter Demokratien ist sie nur bedingt angemessen. Und der föderalistischen Struktur der Schweizer Parteien trägt sie ebenfalls kaum Rechnung. Deshalb ist und bleibt sie wohl die Aussenseiterin unter den Konkordanzdefinitionen, und hat sie operativ auch kaum Konsequenzen für die eine oder andere Partei.

… des Willens …
Beliebter ist es in der Schweiz, statt auf thematische Uebereinstimmung auf den Willen zur Kooperation anzustellen. Eine der Gründungsmythen des Landes kommt damit ins Spiel: eidgenössisch kann man kaum abstrakt definieren, aber konkret als der Wille jener Orte, dann Kantone und schliesslich Parteien, die es auf Dauer miteinander versuchen wollen. Respekt vor dem Institutionen, grundlegenden Werten der Schweiz und dem politischen Gegner, nicht Uebereinstimmung mit ihm wurde dabei zum zentralen Stichwort. Die historischen Feinde FDP und CVP müssen sich untereinander vertragen; für SVP und FDP, die gemeinsame Wurzeln haben, wirtschaftspolitisch aber verschiedene Wegen gingen, gilt das Gleiche, und die Bürgerlichen und Linken, zwischen denen es seit der Russischen Revolution tiefe Gräben gibt, müssen mit ihrem Verhalten beweisen, dass sie gemeinsam regierungswürdig sind. Vor allem in den Kantonen ist das eine unverändert beliebte Formel: Die Parteien, die regieren wollen, stellen ihrer Bewerbungen, das Volk als unabhängiger Akteur wählt aus, und danach hat man, egal in welcher Kombination zu kooperieren. Dem ganzen förderlich ist das Majorzwahlrecht, das daraus auch seine wichtigste Legitimation gerade auch für Regierungswahlen in der Schweiz bezieht. Eveline Widmer-Schlumpf und die BDP insistieren gerne auf diese Definition. Damit finden sie, ausser bei der SVP, bei allen anderen Partnern mehr oder minder Unterstützung.

… der Macht …

Gegenwärtig haben wir es höchstwahrscheinlich mit einem vierten Verständnis von Konkordanz zu tun, das am wenigstens einheitlich definitiert ist. Das hat mit der Sache selber zu tun: Zur neuen politischen Kultur gehört es, das Ich im Wir in den Vordergrund zu rücken. Zuerst zählen die Eigeninteressen der Parteien, die rücksichtslos definitiert werden. Dann sucht man Allianzen von Fall zu Fall – und scheint ebenso vor nichts zurück. Im Einzelfall ist das möglich, als Ganzes wenig stabil. Denn die damit verbundene Machttaktik, die sich über Einbezug und Ausgrenzung definiert, kann in einer bestimmten Sachfrage zu dieser Folgerung, in Personenfragen schnell auch zu anderen Schlüssen führen. So pokert jeder überall ein wenig, für sich und gegen die andern – bis ins Herz der Regierung hinein. Entsprechend ist daran Kritik laut geworden. Das “Wir” muss gegenüber dem “Ich” wieder gestärkt werden, um den hohen Ansprüchen der Konkordanz zu genügen – im Bundesrat und unter den Parteien, die da vertreten sein wollen. Und: Das Momentane muss gegenüber den Anhaltenden zurückgestuft werden. Da das alles im Fluss ist, ist bisher nicht verbindlich ableitbar geworden, wie eine neuen Regierung auf Bundesebene parteipolitisch zusammengesetzt werden sollte.

Die eigentliche Frage ist nur, was wirklich Gültigkeit beanspruchen kann? – Konkretisierung habe ich in diesem Interview mit Samuel Reber vom newsnetz gesucht. Weitere Antworten sind durchaus erwünscht …

Claude Longchamp